EuGH: Löschung EU-ausländischer Nießbrauchsrechte an landwirtschaftlichen Flächen in Ungarn verletzt EU-Recht

Ungarn hat durch die Löschung der Nießbrauchsrechte, die Angehörige anderer Mitgliedstaaten unmittelbar oder mittelbar an landwirtschaftlichen Flächen in Ungarn innehaben, gegen seine Verpflichtungen aus dem freien Kapitalverkehr und aus dem durch die EU-Grundrechtecharta garantierten Eigentumsrecht verstoßen. Dies hat der Europäische Gerichtshof mit Urteil vom 21.05.2019 in einem Vertragsverletzungsverfahren entschieden (Az.: C-235/17).

Ungarn: Nießbrauchsrechte von Personen ohne nahes Angehörigenverhältnis zum Eigentümer kraft Gesetzes erloschen

Im Jahr 2013 erließ Ungarn eine Regelung, wonach Nießbrauchsrechte an landwirtschaftlichen Flächen in Ungarn nur zugunsten von Personen eingeräumt werden oder bestehen bleiben können, die zu dem Eigentümer der betreffenden landwirtschaftlichen Flächen in einem nahen Angehörigenverhältnis stehen. Diese Regelung, die insbesondere Angehörige anderer Mitgliedstaaten als Ungarns betraf, sah mit Wirkung vom 01.05.2014 das Erlöschen von Nießbrauchsrechten vor, die zugunsten von juristischen Personen oder von natürlichen Personen ohne ein solches nahes Angehörigenverhältnis zum Eigentümer bestellt worden waren.

Kommission strengte Vertragsverletzungsverfahren an

Mit Urteil vom 06.03.2018 (BeckRS 2018, 2320) entschied der EuGH in zwei verbundenen Vorabentscheidungssachen, dass die fragliche Regelung eine ungerechtfertigte Beschränkung des freien Kapitalverkehrs darstellt. Im Rahmen des nun vom EuGH entschiedenen Vertragsverletzungsverfahrens hatte die Kommission die Feststellung beantragt, dass Ungarn durch die Regelung sowohl gegen den Grundsatz des freien Kapitalverkehrs als auch gegen Art. 17 der EU-Grundrechtecharta (Eigentumsrecht) verstoßen hat.  

EuGH: Erlöschen verletzt freien Kapitalverkehr

Laut EuGH stellt das streitige Erlöschen insofern, als es die Nießbrauchsrechte betrifft, die Angehörige anderer Mitgliedstaaten unmittelbar oder mittelbar (über eine juristische Person) innehaben, eine Beschränkung des Grundsatzes des freien Kapitalverkehrs dar. Diese Beschränkung könne nicht dadurch gerechtfertigt werden, dass Ungarn landwirtschaftliche Flächen den sie bewirtschaftenden Personen vorbehalten und den Erwerb solcher Flächen zu Spekulationszwecken verhindern wollte. Sie lasse sich auch nicht dadurch rechtfertigen, dass der ungarische Gesetzgeber angeblich Verstöße gegen nationale Vorschriften über die Devisenkontrollen und über den Erwerb landwirtschaftlicher Flächen ahnden wollte, die ausländische Erwerber von Nießbrauchsrechten begangen haben sollen.

Beschränkende Regelung muss auch EU-Grundrechte wahren

Wenn ein Mitgliedstaat die Beschränkung einer oder mehrerer Grundfreiheiten durch eine nationale Regelung rechtfertigen wolle, sei die Vereinbarkeit dieser Regelung mit dem Unionsrecht unter Berücksichtigung sowohl der sich aus dem Vertrag und der EuGH-Rechtsprechung für eine Rechtfertigung einer Beschränkung der fraglichen Freiheit ergebenden Ausnahmen als auch der durch die Charta garantierten Grundrechte zu prüfen. Denn diese Grundrechte fänden in allen unionsrechtlich geregelten Fallgestaltungen Anwendung, also auch wenn ein Mitgliedstaat auf diese Weise von einer Ausnahme vom allgemeinen Grundsatz des Verbots jeder Beschränkung der erwähnten Freiheiten Gebrauch machen wolle.

Enteignungsvoraussetzungen nicht erfüllt

Der EuGH hält fest, dass das Erlöschen von Nießbrauchsrechten kraft der angefochtenen Regelung eine Entziehung von Eigentum im Sinne der Charta darstelle. Nach der Charta sei eine solche Enteignung zwar aus Gründen des öffentlichen Interesses in den Fällen und unter den Bedingungen, die in einem Gesetz vorgesehen seien, sowie gegen eine rechtzeitige angemessene Entschädigung für den erlittenen Verlust zulässig. Jedoch entspreche das Erlöschen der fraglichen Nießbrauchsrechte nicht diesen Kriterien.

Regelung unverhältnismäßig – Entschädigungsbestimmung fehlt ebenfalls

Denn wenngleich die von Ungarn vorgebrachten Rechtfertigungsgründe grundsätzlich solche Gründe des öffentlichen Interesses darstellen könnten, habe es den Anschein, dass mit der betreffenden Einschränkung nicht tatsächlich die von Ungarn geltend gemachten Zielsetzungen verfolgt werden, so der EuGH. Auch genüge sie nicht dem Erfordernis der Verhältnismäßigkeit. Außerdem enthalte die angefochtene Regelung keine Bestimmung, die die Entschädigung enteigneter Inhaber von Nießbrauchsrechten vorsehe.

Eigentumsrecht verletzt

Der EuGH kommt daher zu dem Ergebnis, dass durch die Regelung dass in der Charta garantierte Eigentumsrecht verletzt wird. Die Entziehung des Eigentums kraft der angefochtenen Regelung sei nicht durch einen Grund des öffentlichen Interesses gerechtfertigt und werde auch nicht von einer Regelung zur Zahlung einer angemessenen und rechtzeitigen Entschädigung begleitet. 

EuGH, Urteil vom 21.05.2019 - C-235/17

Redaktion beck-aktuell, 21. Mai 2019.