Vogelschutzvereinigungen rügen Vogelfang mit Leimruten
Die Klägerinnen im Ausgangsverfahren, zwei französische Vogelschutzvereinigungen, wenden sich gegen den Gebrauch von Leimruten für den Vogelfang. Sie haben eine französische Regelung gerichtlich angefochten, die den Gebrauch von Leimruten in bestimmten französischen Departements zulässt. Sie haben einen Verstoß gegen die Vogelschutzrichtlinie 2009/147/EG geltend gemacht, insbesondere gegen ihren Art. 9, der die Anforderungen und Voraussetzungen für eine Abweichung der zuständigen Stellen vom Verbot der Jagd mit Leimruten in Art. 8 und Anhang IV lit. a dieser Richtlinie festlegt. Das Vorlagegericht, der französische Staatsrat (Conseil d'État), bat den EuGH im Vorabentscheidungsverfahren um Klärung von Fragen zur Auslegung dieser Bestimmungen.
EuGH: Wissenschaftsbasierte Begründung erforderlich – Tradition allein reicht nicht
Der EuGH gibt in seinem Urteil Hinweise zur Möglichkeit, von dem Verbot bestimmter Methoden für den Fang geschützter Vogelarten im Rahmen der Jagd abzuweichen. Danach reiche der traditionelle Charakter einer Vogelfangmethode allein nicht aus, um nachzuweisen, dass diese Methode nicht durch eine andere zufriedenstellende Lösung im Sinne dieser Bestimmung ersetzt werden kann, so der EuGH zur Auslegung von Art. 9 Abs. 1 und 2 der Vogelschutzrichtlinie 2009/147/EG. Erforderlich sei vielmehr eine eingehende, auf die besten einschlägigen wissenschaftlichen Erkenntnisse gestützte Begründung, um dies zu untermauern. Die traditionellen Jagdmethoden könnten zwar eine nach der Vogelschutzrichtlinie zulässige "vernünftige Nutzung" darstellen. Die Beibehaltung traditioneller Tätigkeiten stelle jedoch keine eigenständige Abweichung von der durch diese Richtlinie geschaffenen Schutzregelung dar.
Alternative Lösungen möglich
Ferner müsse die zuständige Stelle die verschiedenen der Ausnahmeregelung entsprechenden Lösungen vergleichen und diejenige bestimmen, die als im größten Maße zufriedenstellend erscheine. Ob Alternativlösungen zufriedenstellend seien, sei anhand der sinnvollen Optionen und der besten verfügbaren Techniken zu beurteilen. Solche Lösungen gebe es offenbar. So könnten Aufzucht und Fortpflanzung geschützter Arten in Gefangenschaft eine andere zufriedenstellende Lösung darstellen. Die Beförderung rechtmäßig gefangener oder gehaltener Vögel sei ebenfalls eine vernünftige Nutzung. Dass Aufzucht und Fortpflanzung der betreffenden Arten in Gefangenschaft aufgrund der innerstaatlichen Regelung noch nicht in großem Umfang durchführbar seien, könne die Relevanz dieser Lösungen nicht in Frage zu stellen.
Selektive Fangmethode nur bei unbedeutenden Schäden für Beifang-Arten
Weiter stehe Art. 9 Abs. 1 lit. c der Vogelschutzrichtlinie einer nationalen Regelung entgegen, die eine Fangmethode erlaube, die zu Beifängen führe, die, auch wenn sie geringen Umfang hätten und für begrenzte Zeit vorkämen, den nicht zu den Zielarten gehörenden Exemplaren andere als unbedeutende Schäden zufügen könnten. Die Mitgliedstaaten könnten zwar vom Verbot bestimmter Jagdmethoden abweichen, wenn diese Methoden es erlauben, bestimmte Vogelarten selektiv zu fangen. Bei der Beurteilung der Selektivität einer Fangmethode seien aber neben ihren Modalitäten und dem Umfang der Beifänge auch die etwaigen Folgen für die gefangenen Arten unter dem Aspekt der den gefangenen Vögeln zugefügten Schäden zu berücksichtigen.
Leimruten können irreparable Schäden zufügen
Bei nicht tödlichen Fangmethoden mit Beifängen könne Selektivität nur dann gegeben sein, wenn nur eine sehr geringe Zahl von Exemplaren während eines begrenzten Zeitraums versehentlich gefangen wird und wenn diese freigelassen werden können, ohne andere als unbedeutende Schäden zu erleiden. Der EuGH hält es aber vorbehaltlich der letztlich vom Staatsrat zu treffenden Feststellungen für sehr wahrscheinlich, dass die als Beifang gefangenen Vögel irreparable Schäden erleiden, auch wenn sie gereinigt werden. Denn Leimruten könnten das Gefieder aller gefangenen Vögel schädigen.