Künstler aus Nicht-EWR-Staaten haben Vergütungsanspruch für abspielte Tonträger

Ein Mitgliedstaat darf Künstler aus Nicht-EWR-Staaten nicht vom Anspruch auf eine einzige angemessene Vergütung für die Wiedergabe aufgenommener Musik ausschließen. Dies hat der Europäische Gerichtshof mit Urteil vom 18.09.2020 entschieden. Art. 8 Abs. 2 der Vermiet- und Verleihrichtlinie 2006/115/EG stehe dem entgegen.

Streit um Weiterleitung von Musik-Vergütungen zwischen Verwertungsgesellschaften

Zwei irische Verwertungsgesellschaften, die Rechte ausübender Künstler wahrnehmende Recorded Artists Actors Performers Ltd (RAAP) und die Rechte von Tonträgerherstellern wahrnehmende Phonographic Performance (Ireland) Ltd (PPI), streiten im Ausgangsverfahren um die Weiterleitung von Vergütungen. Sie schlossen einen Vertrag, in dem geregelt ist, wie die in Irland für die öffentliche Wiedergabe in Kneipen und an anderen öffentlich zugänglichen Orten oder für die Funksendung aufgenommener Musik zu zahlende Vergütung auf den Tonträgerhersteller und die ausübenden Künstler aufzuteilen und hierzu teilweise von PPI an RAAP weiterzuleiten ist.

Vergütung auch für Künstler aus Nicht-EWR-Staaten?

Streitig ist, inwieweit der Vertrag auf an PPI gezahlte Vergütungen Anwendung findet, wenn der betreffende ausübende Künstler weder eine EWR-Staatsangehörigkeit besitzt noch sich in einem solchen Staat aufhält. RAAP meint, die Vergütung müsse immer aufgeteilt werden, unabhängig von der Staatsangehörigkeit und dem Aufenthaltsort des ausübenden Künstlers. Folgte man dem Standpunkt von RAAP, würden ausübende Künstler aus Drittstaaten in Irland stets eine Vergütung erhalten. PPI meint, dies gehe nicht an, da irische ausübende Künstler in Drittstaaten keine angemessene Vergütung erhielten. PPI beruft sich insoweit auf das irische Recht.

EuGH: Musik-Künstler aus Nicht-EWR-Staaten haben Vergütungsanspruch

Der EuGH hat sich dem Standpunkt der RAAP angeschlossen. Ein Anspruch auf die einzige angemessene Vergütung dürfe nicht ausgeschlossen werden, wenn die Nutzung der Tonträger in der Union erfolgt. Dem stehe Art. 8 Abs. 2 der Richtlinie 2006/115/EG entgegen. Der Anspruch auf eine einzige angemessene Vergütung im Unionsrecht stelle die Anwendung des Vertrages der Weltorganisation für geistiges Eigentum (WIPO) über Darbietungen und Tonträger (WPPT) sicher und dürfe vom nationalen Gesetzgeber nicht den Personen vorbehalten werden, die die Staatsangehörigkeit eines EWR-Mitgliedstaats besäßen.

Richtlinie verlangt keine EWR-Staatsangehörigkeit des Künstlers

Die Richtlinie 2006/115/EG, die bei dem Urheberrecht verwandten Schutzrechten ein Recht mit Entschädigungscharakter verleihe, sehe die Verpflichtung vor, eine Vergütung zu gewährleisten, die angemessen sei und auf den Tonträgerhersteller und den ausübenden Künstler aufgeteilt werde. Diese Verpflichtung komme zum Tragen, wenn die Nutzung des Tonträgers oder eines Vervielfältigungsstücks in der Union erfolgt. Die Richtlinie 2006/115/EG verlange aber nicht, dass der ausübende Künstler oder der Tonträgerhersteller die Staatsangehörigkeit eines EWR-Staats besitzt oder dass er auf eine andere Weise einen Bezug zum EWR hat, etwa, weil er dort seinen Wohnsitz oder Aufenthaltsort hat oder die schöpferische oder künstlerische Arbeit dort ausgeführt worden ist.

Richtlinie möglichst WPPT-konform auszulegen

Vielmehr geböten der systematische Zusammenhang und die Ziele der Richtlinie 2006/115/EG sowie der Vorrang der von der Union geschlossenen internationalen Übereinkünfte, die Richtlinie 2006/115/EG nach Möglichkeit in Übereinstimmung mit dem WPPT auszulegen. Diese internationale Übereinkunft, die einen integrierenden Bestandteil der Unionsrechtsordnung bilde, verpflichte die Union und ihre Mitgliedstaaten grundsätzlich dazu, den Anspruch auf eine einzige angemessene Vergütung auch den ausübenden Künstlern und Tonträgerherstellern zuzuerkennen, die die Staatsangehörigkeit anderer Vertragsparteien des WPPT besäßen.

Notifizierte WIPO-Vorbehalte von Drittstaaten schränken Anspruch nicht ein

Von Drittstaaten gemäß dem Vertrag der WIPO nach dem WPPT notifizierte Vorbehalte als solche schränkten den Anspruch der Künstler der betreffenden Drittstaaten auf eine einzige angemessene Vergütung in der Union nicht ein, so der EuGH weiter. Nach dem im Wiener Übereinkommen verbürgten Grundsatz der Gegenseitigkeit seien die Union und ihre Mitgliedstaaten zwar nicht verpflichtet, den Anspruch auf eine einzige angemessene Vergütung unbeschränkt zuzuerkennen. Die Notwendigkeit, angemessene Bedingungen für die Teilnahme am Handel mit aufgezeichneten Tonträgern zu erhalten, könne durchaus eine Einschränkung des Anspruchs auf eine einzige angemessene Vergütung rechtfertigen.

Einschränkung erfordert Regelung durch Unionsgesetzgeber

Dieses dem Urheberrecht verwandte Schutzrecht stelle aber ein Recht des geistigen Eigentums dar, das durch die EU-Grundrechtecharta geschützt sei. Folglich müsse jede Einschränkung der Ausübung dieses Rechts gesetzlich klar und genau vorgesehen sein. Die Richtlinie 2006/115/EG enthalte aber keine solche Einschränkung. Das bloße Bestehen eines Vorbehalts gemäß dem WPPT genüge insoweit nicht. Es sei allein Sache des Unionsgesetzgebers, der in diesem Bereich über die ausschließliche Außenkompetenz verfüge, über eine solche Einschränkung zu entscheiden.

Vergütung muss auf Tonträgerhersteller und ausübende Künstler aufgeteilt werden

Laut EuGH ist es auch unzulässig, dass nur der Tonträgerhersteller eine Vergütung erhält, ohne sie mit dem ausübenden Künstler, der einen Beitrag zu dem Tonträger erbracht habe, teilen zu müssen. Bereits aus dem Wortlaut von Art. 8 Abs. 2 der Richtlinie 2006/115/EG ergebe sich, dass sowohl die ausübenden Künstler als auch die Tonträgerhersteller Anspruch auf eine einzige angemessene Vergütung haben, da diese auf sie "aufzuteilen" sei.

EuGH, Urteil vom 18.09.2020 - C-265/19

Redaktion beck-aktuell, 18. September 2020.