Befristetes Verbot der Bekleidung öffentlicher Wahlämter zur Korruptionsbekämpfung zulässig

Das Unionsrecht hindert nicht daran, einer Person für die Dauer von drei Jahren zur Korruptionsbekämpfung die Bekleidung öffentlicher Wahlämter zu verbieten, wenn sie in der Ausübung eines solchen Amtes gegen die Vorschriften über Interessenkonflikte verstoßen hat. Allerdings muss die betroffene Person die Möglichkeit haben, eine solche Sanktion gerichtlich überprüfen zu lassen, entschied der Europäische Gerichtshof in einem Fall aus Rumänien.

Rumänischem Bürgermeister droht Mandatsbeendigung

Im Jahr 2016 wurde der Kläger des Ausgangsverfahrens zum Bürgermeister einer rumänischen Gemeinde gewählt. 2019 stellte die Rumänische Integritätsbehörde in einem Bericht fest, dass er die Vorschriften über Interessenkonflikte im Bereich der Verwaltung nicht eingehalten hat. Sollte dieser Bericht bestandskräftig werden, würde das Mandat des Klägers des Ausgangsverfahrens kraft Gesetzes enden, und ihm würde außerdem für die Dauer von drei Jahren verboten, ein öffentliches Wahlamt zu bekleiden. Der Kläger erhob Klage auf Nichtigerklärung dieses Berichts und machte geltend, dass das Unionsrecht einer nationalen Regelung entgegenstehe, wonach gegen eine Person, die den Feststellungen zufolge in einem Interessenkonflikt gehandelt habe, ein solches Verbot automatisch verhängt werde, ohne dass dabei nach der Schwere des begangenen Verstoßes abgewogen werden könne. Das mit der Sache befasste Gericht rief den EuGH um Vorabentscheidung an.

Maßnahme hat eher präventiven statt repressiven Charakter

Der EuGH klärt zunächst darüber auf, dass Art. 49 Abs. 3 der Grundrechtecharta (GRCh) - wonach das Strafmaß zur Straftat nicht unverhältnismäßig sein darf - auf eine nationale Regelung, die am Ende eines Verwaltungsverfahrens eine bestimmte Maßnahme vorsieht, nicht anwendbar ist, sofern diese Maßnahme nicht strafrechtlicher Natur ist. Die in Rede stehende Regelung solle Integrität und Transparenz bei der Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben und Pflichten gewährleisten sowie institutioneller Korruption vorbeugen. Somit bestünden der Zweck des fraglichen Verbots und der Zweck der kraft Gesetzes eintretenden Beendigung des Mandats darin, das ordnungsgemäße Funktionieren und die Transparenz des Staates zu wahren, indem Interessenkonflikte dauerhaft beendet werden. Die Maßnahme habe vorliegend mithin eher präventiven Charakter.

Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten

Ungeachtet ihrer Einordnung als Strafvorschrift müsse die Regelung aber mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit als allgemeinem Grundsatz des Unionsrechts im Einklang stehen. Die verhängte Sanktion sei geeignet und erforderlich. So habe der rumänische Gesetzgeber ihre Dauer auf drei Jahre festgesetzt, weil er davon ausging, dass ein Interessenkonflikt von Natur aus gravierende Folgen sowohl für das Funktionieren des Staates als auch für die Gesellschaft habe. Dementsprechend werde dieses Verbot als Folge einer Verfehlung verhängt, die vom Inhaber eines öffentlichen Wahlamtes begangen wurde und fraglos schwerwiegend ist. Auch sei das Verbot zeitlich beschränkt, gelte nur für bestimmte Kategorien von Personen, die besondere Aufgaben wahrnehmen, und beziehe sich nur auf begrenzte Tätigkeiten, nämlich öffentliche Wahlämter, ohne an der Ausübung anderer beruflicher Tätigkeiten zu hindern.

Angemessenheit kann in Ausnahmefällen in Frage stehen

Zur Angemessenheit der fraglichen Maßnahme führt der Gerichtshof aus, dass in Anbetracht dessen, wie schwer das öffentliche Interesse durch Korruption und selbst noch so geringfügige Interessenkonflikte seitens der gewählten Vertreter in einem von hoher Korruptionsgefahr geprägten nationalen Kontext beeinträchtigt wird, diese Maßnahme grundsätzlich nicht außer Verhältnis zu dem Verstoß erscheint, der damit geahndet werden soll. Da allerdings die Dauer dieses Verbots in keinem Fall angepasst werden kann, sei nicht auszuschließen, dass sich diese Sanktion in bestimmten Ausnahmefällen als unverhältnismäßig erweisen kann.

Betroffener muss Möglichkeit haben, Sanktion gerichtlich überprüfen zu lassen

Weiter stellt der Gerichtshof klar, dass das Recht auf Ausübung eines nach einem demokratischen Wahlprozess erlangten Wahlmandats, wie eines Amtes als Bürgermeister, nicht unter die Berufsfreiheit nach Art. 15 Abs. 1 GRCh fällt. Dieser Artikel gehöre nämlich zu deren Titel II ("Freiheiten"), während spezifische Vorschriften über das passive Wahlrecht in einem anderen Titel stehen, nämlich Titel V ("Bürgerrechte"). Schließlich stellt der EuGH fest, dass Art. 47 GRCh, der ein Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf und ein unparteiisches Gericht garantiert, der fraglichen nationalen Regelung nicht entgegensteht, sofern die betroffene Person tatsächlich die Möglichkeit hat, die Rechtswidrigkeit des Berichts, in dem ein Interessenkonflikt festgestellt wurde, und der auf seiner Grundlage verhängten Sanktion geltend zu machen und dabei auch die Verhältnismäßigkeit der Sanktion in Frage zu stellen. 

EuGH, Urteil vom 04.05.2023 - C-40/21

Redaktion beck-aktuell, 4. Mai 2023.