EU-Kommission verweigert Zugang zu gewünschten Schriftsätzen
Im März 2011 hatte der Politiker Patrick Breyer (Piratenpartei) bei der Kommission beantragt, ihm Zugang unter anderem zu Schriftsätzen zu gewähren, die Österreich im Rahmen eines von der Kommission gegen diesen Mitgliedstaat eingeleiteten Vertragsverletzungsverfahrens wegen unterbliebener Umsetzung der Richtlinie über die Vorratsspeicherung von Daten beim Gerichtshof (RL 2006/24/EG) eingereicht hatte. Dieses Gerichtsverfahren wurde mit Urteil des EuGH vom 29.07.2010 (MMR 2010, 783) abgeschlossen. Die Kommission verweigerte den Zugang zu den genannten Schriftsätzen, von denen sich eine Abschrift in ihrem Besitz befindet, mit der Begründung, dass sie nicht in den Anwendungsbereich der Verordnung über den Zugang der Öffentlichkeit zu Dokumenten des Europäischen Parlaments, des Rates und der Kommission (VO (EG) Nr. 1049/2001) fielen.
EuG erklärt Kommissionsbeschluss für nichtig
Breyer erhob daraufhin beim Gericht der Europäischen Union Klage auf Nichtigerklärung des ablehnenden Beschlusses. Mit Urteil vom 27.02.2015 gab das EuG der Klage statt und erklärte den Beschluss der EU-Kommission für nichtig (EuZW 2015, 398). Das EuG war der Ansicht, dass die Kommission den Zugang zu Schriftsätzen, die von Mitgliedstaaten im Rahmen eines Verfahrens vor dem Gerichtshof eingereicht werden und von denen sie Abschriften besitzt, nicht ohne Weiteres mit der Begründung verweigern dürfe, dass es sich um Gerichtsdokumente handele. Über einen solchen Zugangsantrag sei immer auf der Grundlage der VO (EG) Nr. 1049/2001 zu entscheiden.
EuGH bestätigt EuG-Entscheidung
Mit ihrem dagegen beim Gerichtshof eingelegten Rechtsmittel hat die Kommission ohne Erfolg beantragt, das Urteil des Gerichts aufzuheben und die Klage Breyers endgültig abzuweisen. Der Gerichtshof hat das Rechtsmittel der Kommission zurückgewiesen und das Urteil des EuG bestätigt. Dabei wies er zunächst darauf hin, dass er nicht darüber zu entscheiden habe, ob die Kommission Breyer Zugang zu den in Rede stehenden Schriftsätzen gewähren müsse, sondern nur darüber, ob der Zugangsantrag Breyers in den Anwendungsbereich der VO (EG) Nr. 1049/2001 falle.
VO (EG) Nr. 1049/2001 anwendbar
Sodann bestätigte der Gerichtshof, dass die VO (EG) Nr. 1049/2001 auf einen Antrag, wie Patrick Breyer ihn gestellt hat, anwendbar sei. Dass die VO (EG) Nr. 1049/2001 nicht auf Anträge Anwendung finde, mit denen Zugang zu Dokumenten begehrt wird, die an den EuGH gerichtet sind, bedeute nicht, so der EuGH, dass Dokumente, die im Zusammenhang mit der Rechtsprechungstätigkeit des Gerichtshofs stünden, grundsätzlich vom Anwendungsbereich dieser Verordnung ausgenommen wären, wenn sie sich im Besitz der in der Verordnung aufgezählten Unionsorgane, wie der Kommission, befinden.
Legitime Interessen der Mitgliedstaaten können geschützt werden
Ferner stellten die Luxemburger Richter klar, dass die legitimen Interessen der Mitgliedstaaten in Bezug auf solche Dokumente mit den in der Verordnung vorgesehenen Ausnahmen vom Recht auf Zugang zu Dokumenten geschützt werden können. So sehe die Verordnung vor, dass die Organe den Zugang zu einem Dokument insbesondere dann verweigern dürfen, wenn durch seine Verbreitung der Schutz von Gerichtsverfahren beeinträchtigt würde, es sei denn, es bestehe ein überwiegendes öffentliches Interesse an der Verbreitung des betreffenden Dokuments. Diese Ausnahme solle gewährleisten, dass das Recht auf Zugang zu Dokumenten der Organe ausgeübt werde, ohne den Schutz von Gerichtsverfahren zu beeinträchtigen. Zu diesem Schutz gehöre insbesondere, dass die Grundsätze der Waffengleichheit und der geordneten Rechtspflege gewahrt werden.
Kein allgemeines und unbedingtes Vetorecht in Bezug auf Herausgabe von Dokumenten
Der EuGH weist insoweit darauf hin, dass er eine allgemeine Vermutung dafür anerkannt habe, dass die Verbreitung der von einem Organ in einem Gerichtsverfahren eingereichten Schriftsätze den Schutz dieses Verfahrens im Sinne der genannten Ausnahme beeinträchtige, solange das Verfahren anhängig sei. Diese allgemeine Vertraulichkeitsvermutung gelte auch für die von einem Mitgliedstaat in einem Gerichtsverfahren eingereichten Schriftsätze. Der EuGH wies auch darauf hin, dass nach der VO (EG) Nr. 1049/2001 ein Mitgliedstaat das Organ ersuchen könne, ein aus diesem Mitgliedstaat stammendes Dokument nicht ohne seine vorherige Zustimmung zu verbreiten. Dem Mitgliedstaat werde damit jedoch kein allgemeines und unbedingtes Vetorecht verliehen, aufgrund dessen er der Verbreitung von im Besitz eines Organs befindlichen Dokumenten, die von ihm stammen, nach freiem Ermessen widersprechen könnte, stellte der EuGH klar.
Transparenzgrundsatz zu berücksichtigen
Darüber hinaus hob der Gerichtshof hervor, dass nach dem Vertrag von Lissabon zwar der EuGH, wenn er Rechtsprechungsaufgaben wahrnehme, von der Regelung über den Zugang zu Dokumenten ausgenommen bleibe, jedoch der Anwendungsbereich des Transparenzgrundsatzes im Unionsrecht durch den Vertrag erweitert worden sei mit dem Ziel einer offenen europäischen Verwaltung.