Zuständigkeit für Schadenersatzklagen wegen verunglimpfender Äußerungen im Netz

Bei Verbreitung angeblich verunglimpfender Äußerungen über das Internet kann der Ersatz des dadurch im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats entstandenen Schadens vor den Gerichten dieses Mitgliedstaates eingeklagt werden. Die Zuständigkeit setze lediglich voraus, dass der verletzende Inhalt dort zugänglich ist oder war, entschied der Gerichtshof der Europäischen Union mit Urteil vom 21.12.2021.

Streit um verunglimpfende Äußerungen im Internet

Geklagt hatte ein tschechisches Unternehmen, das audiovisuelle Inhalte für Erwachsene produziert und verbreitet. Die Firma warf einer beruflich im selben Bereich tätigen Person vor, sich auf verschiedenen Websites verunglimpfend über sie geäußert zu haben und beantragte bei französischen Gerichten die Entfernung beziehungswiese Richtigstellung der Äußerungen sowie Schadenersatz. Nachdem die französischen Instanzgerichte sich für unzuständig erklärt hatten, legte das Unternehmen Rechtsmittel ein, weil die besondere Zuständigkeitsregel des Art. 7 Nr. 2 VO (EU) 1215/2012 verletzt worden sei, wonach die Gerichte "des Ortes, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist oder einzutreten droht", zuständig seien. Das mit der Sache befasste Gericht legte dem EuGH die Frage vor, ob die französischen Gerichte für die Entscheidung über den Antrag auf Schadenersatz zuständig seien, wenn sie nicht für die Entscheidung über den Antrag auf Richtigstellung und Entfernung zuständig wären.

EuGH: Schadenersatz grundsätzlich am Ort des Schadenserfolgs einzuklagen

Der Gerichtshof hat entschieden, dass eine Person, die der Ansicht ist, dass ihre Rechte durch die Verbreitung verunglimpfender Äußerungen über sie im Internet verletzt worden seien, und die sowohl auf Richtigstellung der Angaben und Entfernung der sie betreffenden veröffentlichten Inhalte als auch auf Ersatz des aus dieser Veröffentlichung entstandenen Schadens klagt, vor den Gerichten jedes Mitgliedstaats, in dessen Hoheitsgebiet diese Äußerungen zugänglich sind oder waren, Ersatz des Schadens verlangen kann, der ihr in dem Mitgliedstaat des angerufenen Gerichts entstanden sein soll, selbst wenn diese Gerichte nicht für die Entscheidung über den Antrag auf Richtigstellung und Entfernung zuständig sind. Für die Zuständigkeit von Klagen im Zusammenhang mit über das Internet verursachten Schäden sei grundsätzlich auf den Ort der Verwirklichung beziehungsweise des drohenden Schadenserfolgs abzustellen.

Schaden muss in betreffendem Mitgliedstaat entstanden sein

Bei mutmaßlichen Verstößen gegen die Persönlichkeitsrechte mittels auf einer Website veröffentlichter Inhalte habe die Person, die sich in ihren Rechten verletzt fühle, die Möglichkeit, entweder – unter dem Gesichtspunkt des Ortes des ursächlichen Geschehens – bei den Gerichten des Ortes, an dem der Urheber dieser Inhalte niedergelassen sei, oder – unter dem Gesichtspunkt der Verwirklichung des Schadenserfolgs – bei den Gerichten des Mitgliedstaats, in dem sich der Mittelpunkt ihrer Interessen befinde, eine Klage auf Ersatz des gesamten entstandenen Schadens zu erheben. Anstelle einer Klage auf Ersatz des gesamten entstandenen Schadens könne diese Person ihre Klage auch vor den Gerichten jedes Mitgliedstaats erheben, in dessen Hoheitsgebiet ein im Internet veröffentlichter Inhalt zugänglich gewesen sei. Diese seien jedoch nur für die Entscheidung über den Schaden zuständig, der im Hoheitsgebiet des Mitgliedstaats des angerufenen Gerichts verursacht worden sei.

Auch Teilschaden einklagbar

Ein Antrag auf Richtigstellung von Angaben und Entfernung von Inhalten könne aber nicht bei einem anderen als dem Gericht gestellt werden, das für die Entscheidung über den gesamten Schadenersatzantrag zuständig sei, weil ein solcher Antrag auf Richtigstellung und Entfernung einheitlich und untrennbar sei. Dagegen könne sich ein Antrag auf Schadenersatz entweder auf den vollständigen oder auf den teilweisen Ersatz eines Schadens beziehen. Somit wäre es nicht gerechtfertigt, aus diesem Grund dem Antragsteller die Möglichkeit zu nehmen, vor einem anderen Gericht, in dessen Zuständigkeitsbereich er meint, einen Schaden erlitten zu haben, teilweisen Ersatz des Schadens zu beantragen. Im Übrigen sei der Ausschluss einer solchen Möglichkeit auch nicht im Hinblick auf eine geordnete Rechtspflege geboten, da ein lediglich für die Entscheidung über den in seinem Mitgliedstaat entstandenen Schaden zuständiges Gericht durchaus in der Lage sei, im Rahmen eines in diesem Mitgliedstaat durchgeführten Verfahrens und in Anbetracht der in diesem Mitgliedstaat erhobenen Beweise den Eintritt und die Höhe des geltend gemachten Schadens zu beurteilen.

Schädigender Inhalt muss in Hoheitsgebiet zugänglich gewesen sein

Schließlich setze die Zuständigkeit dieser Gerichte für die Entscheidung allein über Schäden, die im Hoheitsgebiet ihres Mitgliedstaats entstanden sind, lediglich voraus, dass der verletzende Inhalt in diesem Hoheitsgebiet zugänglich gewesen sei, da Art. 7 Nr. 2 VO (EU) 1215/2012 insoweit keine zusätzliche Voraussetzung enthalte. Die Einführung zusätzlicher Voraussetzungen könnte in der Praxis dazu führen, dass der betroffenen Person die Möglichkeit genommen würde, vor den Gerichten des Ortes, in deren Zuständigkeitsbereich sie meint, einen Schaden erlitten zu haben, auf teilweisen Ersatz des Schadens zu klagen.

EuGH, Urteil vom 21.12.2021 - C-251/20

Redaktion beck-aktuell, 21. Dezember 2021.