EuGH: Kfz-Haftpflichtversicherung für nicht offiziell stillgelegtes Fahrzeug notwendig

Für ein nicht offiziell stillgelegtes Fahrzeug, das fahrbereit ist, muss auch dann eine Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung bestehen, wenn sein Eigentümer, der nicht mehr damit fahren will, es auf einem Privatgrundstück abgestellt hat. Dies hat der Europäische Gerichtshof mit Urteil vom 04.09.2018 entschieden (Az.: C-80/17).

Tödlicher Unfall mit nicht versichertem Fahrzeug

Die Beklagte des Ausgangsverfahrens war Eigentümerin eines in Portugal zugelassenen Kraftfahrzeugs, das sie aber wegen gesundheitlicher Probleme nicht mehr nutzte. Es stand im Hof ihres Hauses, war aber offiziell nicht als stillgelegt gemeldet. Für das Auto bestand keine Kfz-Haftpflichtversicherung. Im November 2006 nutzte ihr Sohn ohne deren Erlaubnis und Wissen das Fahrzeug. Es kam zu einem tödlichen Unfall, bei dem der Sohn und zwei weitere Fahrzeuginsassen starben.

Entschädigungsfonds nimmt Ausgangsbeklagte wegen fehlender Versicherung in Regress

Der Fundo de Garantia Automóvel (Automobil-Garantiefonds, Portugal) leistete den Rechtsnachfolgern der Insassen Ersatz für die durch den Unfall entstandenen Schäden. Anschließend nahm er im Einklang mit der insoweit im portugiesischen Recht vorgesehenen Möglichkeit die Beklagte gerichtlich in Anspruch, da sie ihrer Verpflichtung zum Abschluss einer Haftpflichtversicherung für ihr Kraftfahrzeug nicht nachgekommen sei. Er verlangte von ihr die Erstattung des Betrags von rund 437.345 Euro, den er an die Rechtsnachfolger der Insassen gezahlt hatte. 

Beklagte: Keine Versicherungspflicht für nicht mehr genutztes, auf Privatgrundstück abgestelltes Fahrzeug 

Die Beklagte machte dagegen geltend, sie sei für den Schadensfall nicht verantwortlich und, da sie ihr Fahrzeug im Hof ihres Hauses abgestellt habe und es nicht habe nutzen wollen, nicht zum Abschluss eines Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherungsvertrags verpflichtet gewesen.

Portugiesisches Gericht ruft EuGH an

Der vom Fundo de Garantia Automóvel angerufene Oberste Gerichtshof (Supremo Tribunal de Justiça) rief den EuGH im Vorabentscheidungsverfahren an. Er wollte zunächst wissen, ob eine Kfz-Haftpflichtversicherung abgeschlossen werden müsse, wenn das betreffende Fahrzeug nur deshalb, weil sein Eigentümer es nicht mehr nutzen will, auf einem Privatgrundstück abgestellt wurde. Ferner sollte der EuGH klären, ob die Zweite Richtlinie 84/5/EWG über die Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung innerstaatlichen Rechtsvorschriften entgegenstehe, die vorsähen, dass die Entschädigungsstelle gegen die Person, die ihrer Pflicht zum Abschluss einer Kfz-Haftpflichtversicherung nicht nachgekommen ist, auch dann ein Rückgriffsrecht hat, wenn diese Person zivilrechtlich nicht für den Unfall verantwortlich ist.

EuGH: Kfz-Haftpflichtversicherung erforderlich

Laut EuGH muss nach der Ersten Richtlinie über die Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung 72/166/EWG eine Versicherung abgeschlossen werden, wenn das betreffende Fahrzeug weiterhin in einem Mitgliedstaat zugelassen und fahrbereit sei und nur deshalb auf einem Privatgrundstück abgestellt worden sei, weil sein Eigentümer es nicht mehr nutzen will.

Begriff "Fahrzeug" erfasst auch ungenutztes, auf Privatgrundstück abgestelltes Fahrzeug

Der EuGH führt dazu zunächst aus, dass ein Fahrzeug, das nicht ordnungsgemäß stillgelegt worden und fahrbereit sei, unter den Begriff "Fahrzeug" im Sinne der Ersten Richtlinie falle und nicht allein deshalb, weil sein Eigentümer es nicht mehr nutzen wolle und es auf einem Privatgrundstück abgestellt habe, nicht mehr der in der Richtlinie aufgestellten Versicherungspflicht unterliege.

Fahrzeug der Beklagten unterlag der Versicherungspflicht

Laut EuGH unterlag das Fahrzeug der Beklagten der der in der Ersten Richtlinie aufgestellten Versicherungspflicht. Denn ihr Fahrzeug habe seinen gewöhnlichen Standort im Gebiet eines Mitgliedstaats (Portugal) gehabt und sei dort nach wie vor zugelassen gewesen. Es spiele keine Rolle, dass die Beklagte das Fahrzeug auf einem Privatgrundstück, nämlich im Hof ihres Hauses, abgestellt habe, bevor ihr Sohn Besitz von ihm ergriffen habe, und dass sie es nicht mehr habe nutzen wollen.

Rückgriffsrecht gegen Beklagte unabhängig von zivilrechtlicher Verantwortlichkeit zulässig

Sodann stellt der EuGH fest, dass die Zweite Richtlinie einer gesetzlichen Regelung nicht entgegenstehe, die – wie die portugiesischen Rechtsvorschriften – vorsehe, dass die Entschädigungsstelle ein Rückgriffsrecht nicht nur gegen den oder die für den Unfall Verantwortlichen hat, sondern auch gegen die Person, die eine Haftpflichtversicherung für das Fahrzeug, das den Schaden verursacht habe, hätte abschließen müssen, dies aber unterlassen habe. Dies gelte auch dann, wenn sie zivilrechtlich nicht für den Unfall verantwortlich sei.

Rückgriff nicht harmonisiert

Der EuGH erläutert, dass der Unionsgesetzgeber zwar das Recht der Mitgliedstaaten habe unberührt lassen wollen, den Rückgriff der Entschädigungsstelle auf "den oder die für den Unfall Verantwortlichen" zu regeln. Der Gesetzgeber habe jedoch die verschiedenen Aspekte des Rückgriffs dieser Stelle (insbesondere die Bestimmung der übrigen Personen, bei denen ein solcher Rückgriff erfolgen kann) nicht harmonisiert, so dass diese Aspekte dem innerstaatlichen Recht jedes Mitgliedstaats unterlägen. Folglich könnten innerstaatliche Rechtsvorschriften vorsehen, dass die Entschädigungsstelle, wenn der Eigentümer des am Unfall beteiligten Fahrzeugs seiner Pflicht, es zu versichern, nicht genügt habe, nicht nur den oder die für den Unfall Verantwortlichen in Anspruch nehmen kann, sondern auch den Eigentümer des Fahrzeugs, unabhängig von dessen zivilrechtlicher Verantwortlichkeit für den Unfall.

EuGH, Urteil vom 04.09.2018 - C-80/17

Redaktion beck-aktuell, 5. September 2018.

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