Kfz-Haftpflicht für zugelassenes und nicht stillgelegtes Kfz unerlässlich

Der Abschluss eines Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherungsvertrags ist obligatorisch, wenn das betreffende Fahrzeug in einem Mitgliedstaat zugelassen und nicht ordnungsgemäß stillgelegt worden ist. Diese Pflicht lasse sich nicht allein deshalb ausschließen, weil das zugelassene Fahrzeug zu einem bestimmten Zeitpunkt wegen seines technischen Zustands verkehrsuntauglich ist, stellte der Europäische Gerichtshof klar.

Landkreis soll wegen verpassten Abschlusses einer Haftpflichtversicherung Geldbuße zahlen

Am 07.02.2018 wurde ein Landkreis in Polen, also eine Gebietskörperschaft, auf gerichtlichem Weg Eigentümerin eines in Polen zugelassenen Fahrzeugs, nachdem ein Einziehungsbeschluss ergangen war. Erst nach der Zustellung dieses Beschlusses am 20.04.2018 versicherte der Landkreis das Fahrzeug am nächsten Tag, an dem die Verwaltung geöffnet hatte (Montag, den 23.04.2018). Aufgrund des schlechten technischen Zustands des Kfz beschloss der Landkreis, das Fahrzeug verschrotten zu lassen. Auf der Grundlage der Bescheinigung der Verschrottungsstelle wurde das Fahrzeug am 22.06.2018 abgemeldet. Am 10.07.2018 verhängte der polnische Versicherungsgarantiefonds gegen den Landkreis eine Geldbuße von umgerechnet etwa 933 Euro, weil er seine Pflicht zum Abschluss eines Kfz-Haftpflichtversicherungsvertrags für das Fahrzeug im Zeitraum vom 07.02. bis 22.04.2018 verletzt habe. 

EuGH: Begriff "Fahrzeug" nicht von Gebrauch und Nutzungsabsicht abhängig

Der EuGH stellt klar, dass der Abschluss eines Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherungsvertrags grundsätzlich obligatorisch ist für ein Fahrzeug, das in einem Mitgliedstaat zugelassen ist, sich auf einem Privatgrundstück befindet und nach dem Willen seines Eigentümers verschrottet werden soll, selbst wenn das Fahrzeug zu einem bestimmten Zeitpunkt wegen seines technischen Zustands nicht verkehrstauglich ist. Insoweit weist er darauf hin, dass der Begriff "Fahrzeug" in Art. 1 Nr. 1 RL 2009/103 objektiv ist und von dem Gebrauch, der von dem fraglichen Fahrzeug gemacht wird oder gemacht werden kann, oder auch von der tatsächlichen Nutzungsabsicht seines Eigentümers oder einer anderen Person, unabhängig ist. Der objektive Charakter des Begriffs "Fahrzeug" würde in Frage gestellt, wenn die bloße Tatsache, dass ein Fahrzeug zu einem bestimmten Zeitpunkt nicht verkehrstauglich ist, genügte, um ihm seine Eigenschaft als Fahrzeug zu nehmen und es der Versicherungspflicht zu entziehen. Zudem sei die Versicherungspflicht (Art. 3 Abs. 1 RL 2009/103) nicht davon abhängig, ob das Fahrzeug zu einem bestimmten Zeitpunkt als Transportmittel genutzt worden ist oder ob es einen Schaden verursacht hat.

Weder Verkehrsuntauglichkeit noch Verschrottungsabsicht hebeln Versicherungspflicht aus

Folglich lasse sich die Versicherungspflicht nicht allein deshalb ausschließen, weil ein zugelassenes Fahrzeug zu einem bestimmten Zeitpunkt wegen seines technischen Zustands verkehrsuntauglich und somit außerstande ist, einen Schaden zu verursachen, und zwar selbst wenn dies seit dem Übergang des Eigentums an dem Fahrzeug der Fall ist. Desgleichen gestatte allein die Tatsache, dass der Eigentümer oder eine andere Person die Absicht hat, das Fahrzeug verschrotten zu lassen, nicht die Annahme, dass es seine Eigenschaft als "Fahrzeug" verliert und somit nicht mehr von dieser Versicherungspflicht erfasst wird. Die grundsätzliche Pflicht, ein Fahrzeug zu versichern, sei zum einen geboten, um den Schutz der Opfer von Verkehrsunfällen sicherzustellen. Zum anderen lasse sich mit ihr die Wahrung des Zieles der Gewährleistung des freien Verkehrs sowohl der Fahrzeuge, die ihren gewöhnlichen Standort im Unionsgebiet haben, als auch der in ihnen befindlichen Personen besser sicherstellen. Denn nur dann, wenn ein verstärkter Schutz der etwaigen Opfer von Verkehrsunfällen gewährleistet ist, könne von den Mitgliedstaaten verlangt werden (vgl. Art. 4 RL 2009/103), im Hinblick auf Fahrzeuge, die aus einem anderen Mitgliedstaat in ihr Hoheitsgebiet gelangen, von der Durchführung einer systematischen Kontrolle der Haftpflichtversicherung abzusehen, was zur Gewährleistung dieses freien Verkehrs wesentlich ist. Abschließend stellt der Gerichtshof fest, dass der Ausschluss eines Fahrzeugs von der Versicherungspflicht erfordert, dass es gemäß der anwendbaren nationalen Regelung offiziell stillgelegt worden ist.

EuGH, Urteil vom 29.04.2021 - C-383/19

Redaktion beck-aktuell, 29. April 2021.