Keine Umgehung des Bienenschutzes durch Notfallzulassung

Sind bestimmte Stoffe als Pflanzenschutzmittel ausdrücklich durch den Unionsgesetzgeber verboten, kann ein Mitgliedstaat diese nicht über eine Ausnahmevorschrift doch zulassen. Der Europäische Gerichtshof lässt Ausnahmen nur für Stoffe zu, die nicht von der Genehmigungsverordnung erfasst sind. Die Stoffe Thiamethoxam und Clothianidin, die für das Bienensterben mitverantwortlich gemacht werden, dürfen damit nicht zur Behandlung von für das Freiland bestimmtem Saatgut eingesetzt werden.

Naturschutzverbände kämpfen um die Bienen

Die Wirkstoffe Clothianidin und Thiamethoxam wurden zunächst 1991 von der EU als Insektizide für die Behandlung von Pflanzen zugelassen, 2018 aber wegen erheblicher Gefahren für Bienen verboten. Mit diesen Stoffen besprühtes Saatgut durfte nur noch in Verkehr gebracht werden, wenn es während des gesamten Wachstumszyklus im Gewächshaus verbleibt und keine Gefahr besteht, dass die Pflanzenkultur ins Freiland gelangt. Belgien hatte gleichwohl beide Stoffe für die vorbeugende Applikation auf Saatgut von Zuckerrüben, Kopfsalat, Chicorée und weiterem Gemüse vorübergehend genehmigt. Dagegen erhoben verschiedene Naturschutzverbände und ein Imker Klage gegen das belgische Landwirtschaftsministerium. Der belgische Staatsrat legte das Verfahren daraufhin dem EuGH im Wege der Vorabentscheidung vor. Er wollte im Wesentlichen wissen, ob die Ausnahmevorschrift Art. 53 in der Verordnung über das Inverkehrbringen von Pflanzenschutzmitteln so auszulegen ist, dass solche vorübergehenden Zulassungen davon gedeckt sind. Der EuGH erteilte diesem Vorgehen eine deutliche Absage.

Ausnahmevorschrift gilt nicht für verbotene Stoffe

Wird durch eine Durchführungsverordnung das Inverkehrbringen von mit den obigen Produkten behandeltem Saatgut oder Pflanzen verboten, ist es einem Mitgliedstaat nicht erlaubt, dieses Saatgut dennoch zuzulassen. Die Luxemburger Richter sahen keinen Anlass, die Ausnahmevorschrift des Art. 53 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 1107/2009 (Pflanzenschutzmittelverordnung) anders auszulegen: Schon der Wortlaut "abweichend von Art. 28 der VO" zeige an, dass die Ausnahmeregel sehr eng auszulegen sei. Die Ausnahme betreffe nur Stoffe, die nicht von einer Genehmigungsverordnung umfasst sind. Wirkstoffe, die hingegen ausdrücklich in einer Verordnung verboten werden, können nicht mithilfe der Ausnahmeregelung doch in Verkehr gebracht werden. Diese Auslegung stützt der EuGH auch auf den Willen des Unionsgesetzgebers, die Gesundheit von Mensch und Tier zu wahren. Diese Ziele hätten Vorrang vor dem Ziel, die Pflanzenproduktion zu verbessern.

EuGH, Urteil vom 19.01.2023 - C-162/21

Redaktion beck-aktuell, 20. Januar 2023.