EuGH: Keine Europäischen Vollstreckungstitel​ für auf Grundlage "glaubwürdiger Urkunde" erstellte Vollstreckungsbefehle kroatischer Notare

Die in Zwangsvollstreckungsverfahren auf der Grundlage einer "glaubwürdigen Urkunde" tätig werdenden Notare in Kroatien können weder im Sinne der Verordnung über den Europäischen Vollstreckungstitel noch für die Zwecke der Anwendung der Verordnung über die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen als "Gericht" eingestuft werden. Nach zwei Urteilen des Gerichtshofs der Europäischen Union sind die von ihnen ausgestellten Vollstreckungsbefehle daher grundsätzlich nicht als Europäische Vollstreckungstitel zu bestätigen und dürfen in den anderen Mitgliedstaaten nicht als gerichtliche Entscheidungen anerkannt und vollstreckt werden (Az.: C-484/15, BeckRS 2017, 103305 und C-551/15, BeckRS 2017, 103307).

Erstes Verfahren: Streit um Entgelt für juristische Dienstleistungen

Im Verfahren C-484/15 geht es um die Forderung von Ibrica Zulfikarpašić, einem kroatischen Rechtsanwalt, der bei einem Notar einen Antrag auf Zwangsvollstreckung gegen einen seiner Mandanten, Slaven Gajer, stellte, weil dieser das Entgelt für die ihm erbrachten juristischen Dienstleistungen nicht gezahlt hatte. Auf der Grundlage dieses Antrags stellte der Notar einen Vollstreckungsbefehl aus, der mangels Widerspruchs des Mandanten rechtskräftig wurde. Zulfikarpašić beantragte daraufhin bei einem Notar, den Vollstreckungsbefehl gemäß der Verordnung über den Europäischen Vollstreckungstitel (VO (EG) Nr. 805/2004) als Europäischen Vollstreckungstitel zu bestätigen. Nach dieser Verordnung können Entscheidungen, die von "Gerichten" stammen und sich auf unbestrittene Forderungen beziehen, als Europäische Vollstreckungstitel bestätigt werden, die in allen Mitgliedstaaten anzuerkennen und zu vollstrecken sind.

EuGH soll Begriff "Gericht" klären

Der Notar weigerte sich jedoch, den Vollstreckungsbefehl zu bestätigen, weil die fragliche Forderung nicht als unbestritten im Sinne der Verordnung gelte. Im Einklang mit den kroatischen Rechtsvorschriften übermittelte er die Rechtssache an das Općinski sud u Novom Zagrebu – Stalna služba u Samoboru (Stadtgericht Novi Zagreb – Außenstelle Samobor, Kroatien). Dieses Gericht möchte vom Gerichtshof wissen, ob der in der Verordnung verwendete Begriff "Gericht" auch die Notare in Kroatien umfasst (erster Teil der Frage) und ob auf der Grundlage eines solchen Vollstreckungsbefehls ein Europäischer Vollstreckungstitel ausgestellt werden darf (zweiter und dritter Teil der Frage).

In zweitem Verfahren Bezahlung von Parkgebühren streitig

Im Verfahrens C-551/15 geht es um die Bezahlung von Parkgebühren. Pula Parking, eine im Eigentum der Stadt Pula (Kroatien) stehende Gesellschaft, ist für die Verwaltung der gebührenpflichtigen öffentlichen Parkplätze in dieser Stadt zuständig. Sie verlangt von Sven Klaus Tederahn, der seinen Wohnsitz in Deutschland hat, die Bezahlung eines ihm ausgestellten Parkscheins. Auf der Grundlage von Buchführungsunterlagen, aus denen sich eine Forderung im Zusammenhang mit der Parkgebühr ergibt, erließ ein Notar einen Vollstreckungsbefehl gegen Tederahn. Infolge eines von Tederahn gegen diesen Vollstreckungsbefehl eingelegten Widerspruchs wurde die Rechtssache an das Općinski sud u Puli-Pola (Stadtgericht Pula, Kroatien) verwiesen.

EuGH auch in zweitem Verfahren angerufen

Stadtgericht Pula möchte vom EuGH wissen, ob ein solches Zwangsvollstreckungsverfahren in den Anwendungsbereich der Verordnung über die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (VO (EU) Nr. 1215/2012) fällt (erste Frage) und ob in Kroatien Notare, die im Rahmen von Zwangsvollstreckungsverfahren auf der Grundlage einer "glaubwürdigen Urkunde" tätig werden, unter den Begriff "Gericht" im Sinne dieser Verordnung fallen (zweite Frage).

EuGH: Grundsatz kontradiktorischen Verfahrens nicht gewahrt

Wie der EuGH jetzt in seinem Urteil betont, erfordert die Wahrung des Grundsatzes des gegenseitigen Vertrauens der Mitgliedstaaten im Bereich der justiziellen Zusammenarbeit in Zivilsachen es, dass die Entscheidungen der nationalen Behörden eines Mitgliedstaats, um deren Vollstreckung in einem anderen Mitgliedstaat ersucht wird, in einem gerichtlichen Verfahren ergangen sind, das die Gewähr für Unabhängigkeit und Unparteilichkeit bietet und in dem der Grundsatz des kontradiktorischen Verfahrens gewahrt wird. Das Verfahren, in dem die Notare in Kroatien einen Vollstreckungsbefehl auf der Grundlage einer "glaubwürdigen Urkunde" wie der von Zulfikarpašić seinem Mandanten erstellten Rechnung oder den von Pula Parking vorgelegten Buchführungsunterlagen ausstellen, sei aber nicht kontradiktorisch.

Kroatische Notare nicht als "Gericht" einzustufen

Zum einen werde nämlich der Antrag des Gläubigers auf Ausstellung eines solchen Vollstreckungsbefehls nicht dem Schuldner übermittelt und zum anderen werde ihm der Vollstreckungsbefehl selbst erst nach dessen Erlass zugestellt. Daher könnten in Kroatien Notare, die auf der Grundlage einer "glaubwürdigen Urkunde" im Rahmen der ihnen durch die nationalen Rechtsvorschriften in Zwangsvollstreckungsverfahren übertragenen Befugnisse tätig werden, nicht als "Gericht" im Sinne der beiden Verordnungen eingestuft werden.

Bei Anerkennung der Forderung durch Schuldner Europäischer Vollstreckungstitel möglich

Zum zweiten und zum dritten Teil der Frage in der Rechtssache C-484/15 stellte der EuGH fest, dass die Notare in Kroatien zwar zur Ausstellung öffentlicher Urkunden befugt sind, die auch die Grundlage für die Ausstellung eines Europäischen Vollstreckungstitels bilden können, sofern sie sich auf eine unbestrittene Forderung beziehen. Doch könnten die von den Notaren ausgestellten Vollstreckungsbefehle nur dann als Europäische Vollstreckungstitel bestätigt werden, wenn der Schuldner die darin genannte Forderung ausdrücklich anerkannt hat. In der vorliegenden Rechtssache habe der Notar den Vollstreckungsbefehl aber auf der Grundlage einer vom Gläubiger einseitig erstellten Rechnung ausgestellt, ohne dass der Schuldner die Forderung ausdrücklich anerkannt habe.

Von Pula Parking eingeleitetes Zwangsvollstreckungsverfahren hat privatrechtlichen Charakter

Zur ersten Frage in der Rechtssache C-551/15 führte der EuGH aus, dass Pula Parking ihre Befugnisse zwar durch einen Hoheitsakt übertragen wurden, aber offenbar weder die Bestimmung der nicht beglichenen Parkgebühr, die auf einem Vertrag beruht, noch deren Beitreibung, bei der es um die Wahrung privater Interessen geht und die den auf die Rechtsverhältnisse zwischen Privatpersonen anzuwendenden allgemeinen nationalen Rechtsvorschriften unterliegt, die Ausübung hoheitlicher Befugnisse erfordere. Außerdem gingen mit dieser Forderung offenbar keine Strafgelder einher, deren Erhebung der Ausübung von Hoheitsgewalt unterläge, sondern sie scheine lediglich ein Entgelt für eine erbrachte Leistung zu sein. Das von Pula Parking gegen Tederahn eingeleitete Zwangsvollstreckungsverfahren habe somit privatrechtlichen Charakter und falle deshalb in den Anwendungsbereich der Verordnung über die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen.

EuGH, Urteil vom 09.03.2017 - C-484/15

Redaktion beck-aktuell, 10. März 2017.

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