EuGH: Jura-Professor darf eigene Uni vor europäischen Gerichten vertreten

Ein Jura-Professor darf seine eigene Hochschule vor dem Gericht und dem Gerichtshof der Europäischen Union vertreten. Das hat der EuGH entschieden. Das öffentlich-rechtliche Dienstverhältnis zwischen dem Hochschullehrer und seiner Universität stehe der erforderlichen Unabhängigkeit nicht entgegen. Er dürfe seine Hochschule grundsätzlich auch dann vertreten, wenn er Koordinator und Teamleiter des in Streit stehenden Projekts sei.

EuG sah keine ordnungsgemäße Prozessvertretung

Die Universität Bremen ist Koordinatorin eines Forschungskonsortiums, das mehrere europäische Universitäten umfasst und rechtsvergleichende interdisziplinäre Forschung im Bereich des Wohnungsrechts und der Wohnungspolitik in der gesamten Union betreibt. Um eine Finanzierung der Union für diese Forschung zu erhalten, reichte die Universität bei der Europäischen Exekutivagentur für die Forschung (REA) einen Projektvorschlag ein, der abgelehnt wurde. Dagegen klagte die Universität beim Gericht der Europäischen Union. Das Gericht wies die Klage als offensichtlich unzulässig ab. Da die Klageschrift ein Hochschullehrer unterzeichnet habe, der an der Universität Bremen nicht nur lehre, sondern auch Koordinator und Teamleiter des vorgeschlagenen Projekts sei, fehle die erforderliche anwaltliche Unabhängigkeit. Die Universität legte ein Rechtsmittel ein.

EuGH: Hochschullehrer als Vertreter müssen wie Anwälte unabhängig sein

Das Rechtsmittel hatte Erfolg. Der EuGH hat den Beschluss des EuG aufgehoben und die Sache an das EuG zurückverwiesen. Nach Art. 19 Abs. 7 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union hätten Hochschullehrer, die nach dem Recht ihres Mitgliedstaats postulationsfähig seien, vor dem Gerichtshof die durch Art. 19 Abs. 3 der Satzung den Anwälten eingeräumte Rechtsstellung. Daraus ergebe sich, dass Hochschullehrer entsprechend dem Ziel der Vertretungsaufgabe, die Interessen des Mandanten bestmöglich zu schützen und zu verteidigen, dieselben Unabhängigkeitskriterien erfüllen müssten wie Anwälte. Diese Kriterien seien sowohl negativ zu definieren (Fehlen eines Beschäftigungsverhältnisses zwischen Anwalt und Mandant) als auch positiv, also unter Bezugnahme auf die berufsständischen Pflichten. Letzteres bedeute unter anderem, dass es keine die Vertretungsaufgabe offensichtlich beeinträchtigende Verbindung geben darf.

Anstellung an vertretener Universität steht Unabhängigkeit nicht entgegen

Laut EuGH genügt eine vertragliche Verbindung oder ein öffentlich-rechtliches Dienstverhältnis zwischen einem Hochschullehrer und der von ihm vertretenen Universität nicht, um die Voraussetzung der Unabhängigkeit zu verneinen. Denn anders als ein Syndikusanwalt sei der betreffende Hochschullehrer mit der Universität, die er vertrete, durch ein öffentlich-rechtliches Dienstverhältnis verbunden. Durch diese Rechtsstellung sei er – entsprechend den Voraussetzungen und den Vorschriften des nationalen Rechts – nicht nur als Lehrkraft und Forschender, sondern auch als Vertreter von Einzelnen vor den Unionsgerichten unabhängig. Da außerdem die Vertretung vor Gericht nicht zu den Aufgaben gehöre, die dieser Hochschullehrer an der Universität als Lehrkraft oder Forschender wahrnehme, hänge diese Vertretung in keiner Weise mit seiner universitären Tätigkeit zusammen. Sie sei daher nicht weisungsgebunden, auch wenn es sich bei der vertretenen Partei um die betreffende Universität handeln sollte.

Funktion als Projekt-Koordinator und Teamleiter ebenfalls unschädlich

Aufgrund der vom betreffenden Hochschullehrer im Rahmen des streitgegenständlichen Projekts wahrgenommenen Aufgaben hätten er und die Universität zwar gemeinsame Interessen. Diese Interessen führten jedoch nicht dazu, dass der Hochschullehrer die ihm übertragene Vertretung nicht ordnungsgemäß wahrnehmen könnte. Das EuG habe die Klage daher zu Unrecht wegen nicht ordnungsgemäßer Vertretung für unzulässig erklärt.

EuGH, Urteil vom 14.07.2022 - C-110/21

Redaktion beck-aktuell, 14. Juli 2022.