EuGH: Halterhaftung kein Ablehnungsgrund für Vollstreckung ausländischer Bußgeldbescheide

Die Anerkennung und Vollstreckung einer Geldbuße, die wegen eines im EU-Ausland (hier: Niederlande) begangenen Verkehrsdelikts gegen den (hier: polnischen) Fahrzeughalter verhängt wurde, darf nicht wegen der Halterhaftung verweigert werden, sofern die entsprechende Haftungsvermutung widerleglich ist. Dies hat der Europäische Gerichtshof mit Urteil vom 05.12.2019 entschieden. Der EuGH betont, dass die Ablehnungsgründe eng auszulegen seien (Az.: C-671/18).

Niederländische Behörden verhängen Bußgeld gegen polnischen Kfz-Halter

Am 09.11.2017 wurde gegen Z. P. eine Geldbuße in Höhe von 232 Euro wegen eines Verkehrsdelikts in den Niederlanden verhängt. Dieses Delikt wurde vom Fahrer eines in Polen auf den Namen von Z. P. zugelassenen Fahrzeugs begangen. Nach der niederländischen Straßenverkehrsordnung liegt die Haftung, sofern nichts anderes nachgewiesen wird, bei der Person, auf deren Namen das Fahrzeug zugelassen ist. Die Entscheidung über die Verhängung der Geldbuße war durch Einwurf in den Briefkasten von Z. P. zugestellt worden. In ihr war angegeben, dass die Rechtsbehelfsfrist am 21.12.2017 ablaufe. Die Frist begann am Tag des Erlasses der Entscheidung. Da kein Rechtsbehelf eingelegt wurde, wurde die Entscheidung am 21.12.2017 rechtskräftig.

Anerkennung und Vollstreckung der Bußgeldentscheidung beantragt

Mit Schreiben vom 24.05.2018 beantragte das niederländische Justizinkassobüro, das zum Ministerium für Sicherheit und Justiz gehört und unter anderem für die Einziehung von Geldbußen wegen Straßenverkehrsverstößen zuständig ist, beim zuständigen polnischen Gericht auf der Grundlage des insoweit maßgeblichen Rahmenbeschlusses der EU die Anerkennung und Vollstreckung der Entscheidung vom 09.11.2017.

Einwendungen des Halters

Beim polnischen Gericht machte Z. P. geltend, dass er zum Zeitpunkt der beanstandeten Zuwiderhandlung das betreffende Fahrzeug bereits verkauft und seinen Versicherer entsprechend informiert habe. Er räumte jedoch ein, die für die Zulassung des Fahrzeugs zuständige Behörde nicht informiert zu haben. Da ihm des Weiteren der Zeitpunkt der Zustellung der Entscheidung nicht bekannt sei, ersuchte das polnische Gericht das Justizinkassobüro um entsprechende Auskunft. Dieses teilte mit, dass ihm diese Information nicht vorliege.

Polnisches Gericht ruft EuGH an

Das polnische Gericht rief den EuGH im Vorabentscheidungsverfahren an und wollte wissen, ob Z. P. die Möglichkeit gehabt habe, die Sache vor ein Gericht zu bringen, und ob es daher Gründe gebe, aus denen die Vollstreckung der Entscheidung vom 09.11.2017 verweigert werden könne. Das Gericht wollte ferner wissen, ob die auf der Grundlage des Kennzeichens eines Fahrzeugs verhängte Geldbuße mit dem Grundsatz vereinbar sei, dass die strafrechtliche Haftung nach polnischem Recht persönlich ist.

EuGH: Ablehnungsgründe eng auszulegen

Der EuGH stellt zunächst fest, dass der Rahmenbeschluss darauf abziele, einen wirksamen Mechanismus zur Anerkennung und grenzüberschreitenden Vollstreckung von Entscheidungen über die Verhängung von Geldstrafen oder Geldbußen nach der Begehung bestimmter Zuwiderhandlungen einzuführen. Demnach seien die Ablehnungsgründe eng auszulegen.

Sechswöchige Frist für Rechtsbehelfseinlegung ausreichend

In Bezug auf die Rechtsbehelfe von Z. P. führt der EuGH aus, dass diesem die Entscheidung nach den niederländischen Rechtsvorschriften zugestellt worden sei und sie die Angabe enthalten habe, dass und innerhalb welcher Frist ein Rechtsbehelf eingelegt werden kann. Eine sechswöchige Frist wie im Fall von Z. P. reiche aus, damit der Betreffende über die Einlegung eines Rechtsbehelfs entscheiden könne. Jedoch sei es ungeachtet dessen, dass nichts darauf hinweise, dass Z. P. nicht über genügend Zeit verfügt habe, Sache des polnischen Gerichts, zu prüfen, dass er tatsächlich von der gegen ihn ergangenen Entscheidung über die Verhängung einer Geldbuße Kenntnis erlangen konnte und zur Vorbereitung seiner Verteidigung genügend Zeit hatte.

Bei ausreichender Zeit für Rechtsverteidigung Entscheidung anzuerkennen und zu vollstrecken

Sollte dies der Fall sein, sei die polnische Behörde verpflichtet, die Entscheidung über die Verhängung der Geldbuße anzuerkennen, ohne dass irgendeine andere Formalität erforderlich wäre, und unverzüglich alle zu ihrer Vollstreckung erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, so der EuGH weiter. Sei dies nicht der Fall, könne sie sich weigern. Zuvor müsse sie von der Behörde des Entscheidungsmitgliedstaats alle erforderlichen Informationen anfordern. Die Tatsache, dass die Geldbuße administrativer Art sei, habe keinen Einfluss auf die Verpflichtungen der zuständigen Behörden des Vollstreckungsmitgliedstaats, wenn der Betreffende die Möglichkeit hatte, sie vor ein auch in Strafsachen zuständiges Gericht zu bringen.

Bußgeld-Halterhaftung bei widerleglicher Haftungsvermutung kein Weigerungsgrund

Anschließend legt der EuGH dar, dass die Anerkennung oder Vollstreckung einer Entscheidung über die Verhängung einer Geldbuße nicht deshalb verweigert werden könne, weil die Geldbuße gegen die Person verhängt wurde, auf deren Namen das betreffende Fahrzeug zugelassen sei. Nach niederländischem Recht werde die Verwaltungssanktion nämlich gegen die Person verhängt, die zum Zeitpunkt der Zuwiderhandlung für das Kennzeichen als Halter registriert gewesen sei, wenn die Zuwiderhandlung mit einem Kraftfahrzeug begangen wurde, für das ein Kennzeichen zugeteilt worden sei, und es nicht sofort möglich sei, den Fahrer dieses Fahrzeugs zu ermitteln. Da die in der niederländischen StVO festgelegte Haftungsvermutung widerlegt werden könne und feststehe, dass Z. P. nach niederländischem Recht sehr wohl über eine Rechtsgrundlage verfügt habe, die es ihm ermöglicht habe, die Entscheidung über die Verhängung der Geldbuße für nichtig erklären zu lassen, stehe die Haftungsvermutung der Anerkennung und Vollstreckung dieser Entscheidung nicht entgegen, so der EuGH.

EuGH, Urteil vom 05.12.2019 - C-671/18

Redaktion beck-aktuell, 5. Dezember 2019.