Haft für illegal aufhältige Drittstaatsangehörige von Amts wegen auf Rechtmäßigkeit zu prüfen

Nationale Gerichte müssen von Amts wegen prüfen, ob eine Haftmaßnahme gegen einen illegal aufhältigen Drittstaatsangehörigen oder einen Asylbewerber rechtmäßig ist. Dies hat der Europäische Gerichtshof entschieden. Sie müssten die Einhaltung einer unionsrechtlichen Voraussetzung auch dann prüfen, wenn der Betroffene keinen Verstoß dagegen geltend gemacht hat.

Streit um Abschiebe- bzw. Überstellungshaft vor niederländischen Gerichten

Ein algerischer, ein marokkanischer und ein sierra-leonischer Staatsangehöriger wandten sich vor verschiedenen niederländischen Gerichten gegen Haftmaßnahmen, die gegen sie erlassen worden waren. Niederländische Gerichte dürfen gemäß dem niederländischen Verfahrensrecht nicht von Amts wegen prüfen, ob vom Betroffenen nicht geltend gemachte Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen beachtet wurden. Der niederländische Staatsrat und das Bezirksgericht Den Haag riefen den EuGH an, um klären zu lassen, ob dies mit Unionsrecht vereinbar ist.

EuGH: Inhaftnahme schwerwiegender Eingriff in Recht auf Freiheit

Der EuGH unterstreicht, dass jede Inhaftnahme eines Drittstaatsangehörigen, sei es im Rahmen eines Rückkehrverfahrens infolge eines illegalen Aufenthalts, der Bearbeitung eines Asylantrags oder der Überstellung einer Person, einen schwerwiegenden Eingriff in das Recht auf Freiheit aus Art. 6 der EU-Grundrechtecharta darstellt. Stelle sich heraus, dass die Voraussetzungen für die Rechtmäßigkeit der Haft nicht oder nicht mehr erfüllt sind, sei die betroffene Person daher unverzüglich freizulassen. Dies gelte unter anderem dann, wenn festgestellt wird, dass das Rückkehrverfahren, das Verfahren zur Prüfung des Asylantrags oder das Überstellungsverfahren nicht mehr mit der gebotenen Sorgfalt durchgeführt werde oder die Haftmaßnahme nicht oder nicht mehr verhältnismäßig sei.

Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen von Amts wegen zu prüfen

Der Unionsgesetzgeber habe im Kontext der Inhaftnahme von Ausländern neben gemeinsamen materiellen Normen auch, geleitet vom Grundsatz des wirksamen gerichtlichen Rechtsschutzes, gemeinsame Verfahrensnormen eingeführt. Damit solle gewährleistet werden, dass in jedem Mitgliedstaat eine Regelung besteht, die es der zuständigen Justizbehörde ermöglicht, die betroffene Person, gegebenenfalls nach einer Prüfung von Amts wegen, freizulassen, wenn ihre Inhaftierung nicht oder nicht mehr rechtmäßig ist. Daraus folge, dass die für die Kontrolle der Rechtmäßigkeit einer Haftmaßnahme zuständige Justizbehörde sämtliche ihr zur Kenntnis gebrachten Umstände berücksichtigen und anhand dieser Umstände gegebenenfalls den Verstoß gegen eine sich aus dem Unionsrecht ergebende Rechtmäßigkeitsvoraussetzung feststellen muss, auch wenn dieser Verstoß von der betroffenen Person nicht geltend gemacht worden sei. Diese Verpflichtung bestehe unbeschadet der Verpflichtung dieser Justizbehörde, die Parteien gemäß dem Grundsatz des kontradiktorischen Verfahrens aufzufordern, sich zu dieser Voraussetzung zu äußern.

EuGH, Urteil vom 08.11.2022 - C-704/20

Redaktion beck-aktuell, 8. November 2022.