Der 52 Jahre alte Warschauer Bezirksrichter Igor Tuleya ist einer der prominentesten Kritiker der Justizreformen der nationalkonservativen Regierungspartei PiS. Im November 2020 hatte die mittlerweile aufgelöste, umstrittene Disziplinarkammer des Obersten Gerichts entschieden, dass seine Immunität aufgehoben wird, seine Bezüge um 25% gekürzt werden und er nicht mehr an Verfahren mitwirken darf.
Die Staatsanwaltschaft warf ihm unter anderem Überschreitung seiner Kompetenzen vor, weil er bei der Urteilsverkündung in einem für die PiS unangenehmen Verfahren Medienvertreter im Gerichtssaal zugelassen hatte. In Polen genießen Richter und Staatsanwälte Immunität. Eine strafrechtliche Verfolgung ist nur möglich, wenn die Immunität zuvor gerichtlich aufgehoben wurde.
Beschluss der Disziplinarkammer ist nicht anzuwenden
Der EuGH wies nun darauf hin, dass der Beschluss zur Suspendierung von der inzwischen abgeschafften Disziplinarkammer gefasst wurde – diese verstößt gegen EU-Recht, wie die Luxemburger Richter bereits mehrfach festgestellt hatten. Die polnischen Gerichte müssten sicherstellen, dass das EU-Recht durchgesetzt werde und seien daher verpflichtet, Beschlüsse der Disziplinarkammer nicht anzuwenden.
Tuleya müsse also wieder an Verfahren mitwirken dürfen. Die Fälle, die er vor der Suspendierung bearbeitet habe, sollten ihm wieder zugewiesen werden.
Nun müssen die nationalen Gerichte über den konkreten Fall entscheiden. Bereits im November 2022 hatte die neu gegründete Kammer für berufliche Verantwortung die Entscheidung der Disziplinarkammer aufgehoben. Tuleya darf seitdem wieder an Verfahren mitwirken und erhält die volle Höhe seiner Bezüge.