EuGH-Generalanwalt: Stundenlohn von Leiharbeitnehmern darf niedriger sein

Leih- und Stammarbeitnehmer dürfen nach Ansicht des EuGH-Generalanwalts Anthony Collins unter bestimmten Umständen unterschiedlich bezahlt werden. Dies verstoße nicht gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung, solange andere angemessene Vorteile gewährt werden, betonte er in seinen Schlussanträgen. Hintergrund ist der Fall einer befristet beschäftigten Leiharbeitnehmerin aus Deutschland, die rund ein Drittel weniger Stundenlohn als Stammmitarbeiter bekommt.

Leiharbeitnehmerin erhält ein Drittel weniger Stundenlohn als Stammmitarbeiter

Die Klägerin war im Zeitraum von Januar bis April 2017 bei der TimePartner Personalmanagement GmbH (im Folgenden: TimePartner), einem Leiharbeitsunternehmen, als Leiharbeitnehmerin im Rahmen eines befristeten Arbeitsvertrags beschäftigt. Im Rahmen dieses Vertrags war sie einem bayerischen Unternehmen des Einzelhandels als Kommissioniererin überlassen. Nach einem in Bayern geltenden Tarifvertrag war vergleichbaren, unmittelbar von einem entleihenden Unternehmen eingestellten Arbeitnehmern ein Stundenlohn von 13,64 Euro brutto zu zahlen. Ein für die Parteien geltender Tarifvertrag wich jedoch von dem in § 8 AÜG (in der bis 31.03.2017 geltenden Fassung) bzw. § 10 AÜG (in der ab 01.04.2017 geltenden Fassung) geregelten Grundsatz der Gleichstellung, insbesondere in Bezug auf das Arbeitsentgelt, ab. Infolgedessen erhielt die Klägerin lediglich ein Bruttoentgelt von 9,23 Euro pro Stunde.

BAG ruft EuGH an

Die Klägerin macht die Entgeltdifferenz vor den deutschen Arbeitsgerichten mit der Begründung geltend, dass die einschlägigen Bestimmungen des AÜG und des Tarifvertrags für Leiharbeitnehmer gegen Art. 5 der Leiharbeitsrichtlinie aus dem Jahr 2008 (RL 2008/104/EG) verstoßen. Bislang blieb sie ohne Erfolg. Das BAG hat dem EuGH nun die Frage, unter welchen Voraussetzungen ein von den Sozialpartnern abgeschlossener Tarifvertrag vom Grundsatz der Gleichbehandlung von Leiharbeitnehmern abweichen kann, zur Klärung vorgelegt. Konkret möchte das Gericht wissen, in welchem Verhältnis der Grundsatz der Gleichbehandlung in Art. 5 Abs. 1 RL 2008/104/EG zum Begriff des nach Art. 5 Abs. 3 RL 2008/104/EG durch Tarifverträge zu achtenden "Gesamtschutzes von Leiharbeitnehmern" steht und inwieweit solche Tarifverträge gerichtlich daraufhin überprüfbar sind, ob sie den Gesamtschutz von Leiharbeitnehmern achten.

Gesamtschutz von Leiharbeitnehmern ist zu achten

Nach Ansicht von Generalanwalt Anthony Collins ist Art. 5 Abs. 3 RL 2008/104/EG dahin auszulegen, dass die Sozialpartner vom Grundsatz der Gleichbehandlung in Bezug auf das Arbeitsentgelt zulasten von Leiharbeitnehmern durch Tarifverträge abweichen können, sofern diese Verträge für Leiharbeitnehmer entsprechende Ausgleichsvorteile in Bezug auf die wesentlichen Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen gewähren, so dass der Gesamtschutz von Leiharbeitnehmern geachtet wird. Die Mitgliedstaaten müssten den Sozialpartnern insofern die Möglichkeit geben, derartige, vom Grundsatz der Gleichbehandlung abweichende Tarifverträge abzuschließen. Sofern die Achtung des Gesamtschutzes von Leiharbeitnehmern sichergestellt sei, müssten die entsprechenden nationalen Rechtsvorschriften auch keine detaillierten, von den Sozialpartnern zu erfüllenden Bedingungen und Kriterien vorgeben. Dies zu überprüfen, sei schließlich Aufgabe der nationalen Gerichte.

EuGH, Schlussanträge vom 14.07.2022 - C 311/21

Miriam Montag, 15. Juli 2022 (ergänzt durch Material der dpa).