EuGH-Generalanwalt will Rechte Berufsunfähiger stärken

Wer wegen einer Erkrankung oder eines Unfalls seiner alten Tätigkeit nicht mehr nachkommen kann, hat nach Einschätzung des Generalanwalts des Europäischen Gerichtshofs Athanasios Rantos grundsätzlich Anspruch auf einen anderen Job beim gleichen Arbeitgeber. Voraussetzung sei allerdings, dass der Arbeitnehmer die erforderliche "Kompetenz, Fähigkeit und Verfügbarkeit" besitze und das neue Jobangebot keine unverhältnismäßige Belastung des Arbeitgebers darstelle.

Herzkranker Gleisarbeiter kämpft gegen Entlassung

Hintergrund des EuGH-Verfahrens ist ein Fall aus Belgien. Dort wehrt sich ein Mitarbeiter der belgischen Eisenbahngesellschaft gegen seine Entlassung. Der Arbeiter war während seiner Probezeit am Herzen erkrankt und durfte dann nicht mehr auf Gleisen arbeiten. Nachdem er für eine Zeit im Lager gearbeitet hatte, wurde er entlassen.

EuGH-Generalanwalt: Entlassung nur "ultima ratio"

In seinem am Donnerstag veröffentlichten Gutachten macht der Generalanwalt nun deutlich, dass es nur der letzte Ausweg sein sollte, Beschäftigte zu entlassen, die unverschuldet ihrer ursprünglichen Tätigkeit nicht mehr nachkommen können. Die Auflagen für den Arbeitgeber seien "eine vorbeugende Maßnahme, um die Beschäftigung von Menschen mit Behinderung aufrechtzuerhalten und gälten auch für einen Arbeitnehmer, der im Rahmen seiner Einstellung eine Probezeit absolviere", heißt es.

Arbeitgeber muss "angemessene Vorkehrungen" treffen

Dem Begriff der "angemessenen Vorkehrungen" liege die Überlegung zugrunde, einen gerechten Ausgleich zwischen den Bedürfnissen von Menschen mit Behinderungen und denen des Arbeitgebers zu schaffen. Die entsprechende Richtlinienbestimmung beschränke die getroffenen Maßnahmen nicht auf den von dem Arbeitnehmer mit Behinderung besetzten Arbeitsplatz. Der Zugang zu einer Beschäftigung und zu Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen lasse vielmehr die Möglichkeit einer Verwendung an einem anderen Arbeitsplatz offen. Deshalb sei im Einklang mit der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Begriff "angemessene Vorkehrungen" weit auszulegen und dahin zu verstehen, dass er die Beseitigung der verschiedenen Barrieren umfasse, die die volle und wirksame Teilhabe der Menschen mit Behinderung am Berufsleben, gleichberechtigt mit den anderen Arbeitnehmern, behinderten.

EuGH, Schlussanträge vom 11.11.2021 - C-485/20

Redaktion beck-aktuell, 11. November 2021 (ergänzt durch Material der dpa).