Ehepaar in Syrien nach Scharia-Recht geschieden
Die Beteiligten des Ausgangsverfahrens schlossen 1999 vor einem Scharia-Gericht in Syrien die Ehe. Beide besitzen sowohl die syrische als auch die deutsche Staatsangehörigkeit und leben derzeit in Deutschland. 2013 erklärte der Ehemann, sich von seiner Ehefrau scheiden lassen zu wollen, indem sein Bevollmächtigter vor einem geistlichen Gericht in Syrien die Scheidungsformel aussprach. Daraufhin stellte das Scharia-Gericht die Scheidung der Ehegatten fest. In der Folge unterzeichnete die Frau eine Erklärung, in der sie bestätigte, dass sie alle Leistungen erhalten habe, die ihr nach den religiösen Vorschriften aus dem Ehevertrag und aufgrund der auf einseitigen Wunsch ihres Ehegatten erfolgten Scheidung zustünden, und somit ihren Ehegatten von allen seinen Verpflichtungen ihr gegenüber entbinde.
Präsident des OLG München erkannte Ehescheidung an
Der Mann stellte daraufhin in Deutschland einen Antrag auf Anerkennung der Ehescheidung. Der Präsident des Oberlandesgerichts München gab dem Antrag statt. Er begründete dies unter anderem damit, dass diese Art von Anträgen unter die Rom III-Verordnung über das auf die Ehescheidung anzuwendende Recht falle und sich die fragliche Scheidung kraft dieser Verordnung nach syrischem Recht richte. Die Frau focht diese Anerkennung der Scheidung vor dem OLG an.
OLG München ruft EuGH an: Rom III-Verordnung auf private Ehescheidungen anwendbar?
Das OLG rief den EuGH im Vorabentscheidungsverfahren an und bat um Klärung mehrerer Fragen zur Auslegung der Verordnung (EU) Nr. 1259/2010 (Rom III-Verordnung). Es wollte insbesondere wissen, ob die Verordnung auch auf Privatscheidungen anwendbar ist. Bei der vorliegenden Scharia-Scheidung handelt es sich um eine private Ehescheidung, da sie nicht auf einer konstitutiven Entscheidung eines Gerichts oder einer anderen Behörde beruht, sondern auf einer einseitigen Willenserklärung des Ehemanns, an die sich ein rein deklaratorischer Akt einer ausländischen Behörde anschließt.
Generalanwalt bejaht Zuständigkeit des EuGH
Der Generalanwalt hat zunächst die Zuständigkeit des EuGH für die Beantwortung der Vorlagefragen bejaht. Zwar sei die Rom III-Verordnung hier nicht unmittelbar anwendbar, da sie die Kollisionsnormen für die Ehescheidung in den teilnehmenden Mitgliedstaaten festlege, ohne die Anerkennung bereits ausgesprochener Ehescheidungen zu regeln. Dennoch komme die Verordnung mittelbar zur Anwendung, weil das deutsche Recht zur Bestimmung des anwendbaren Rechts in Gerichtsverfahren über die Anerkennung von im Ausland erfolgten Privatscheidungen auf sie verweist. Die Auslegung der Verordnung sei auch sachdienlich, um sicherzustellen, dass der in ihr verwendete Begriff "Ehescheidung" eindeutig ausgelegt wird.
Rom III-Verordnung auf private Ehescheidungen nicht anwendbar
Nach Ansicht von Saugmandsgaard Øe fallen private Ehescheidungen, also ohne konstitutive Entscheidung durch ein Gericht oder eine andere staatliche Behörde ausgesprochene Ehescheidungen aber entgegen der Annahme des deutschen Gesetzgebers nicht in den Anwendungsbereich der Rom III-Verordnung. Zu diesem Ergebnis kommt er insbesondere im Hinblick auf die Vorarbeiten zu dieser Verordnung und unter Berücksichtigung des Umstands, dass die Anwendungsbereiche dieser Verordnung und der Verordnung (EG) Nr. 2201/2003 (Brüssel IIa-Verordnung über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen) nach dem Willen des EU-Gesetzgebers miteinander in Einklang stehen sollen.
Syrisches Recht jedenfalls diskriminierend
Für den Fall, dass der EuGH private Ehescheidungen vom Anwendungsbereich der Rom III-Verordnung erfasst sieht, nimmt Saugmandsgaard Øe zur Auslegung von Art. 10 dieser Verordnung Stellung. Nach dieser Regelung muss ein Gericht eines teilnehmenden Mitgliedstaats sein eigenes innerstaatliches Recht anzuwenden, wenn das grundsätzlich anzuwendende ausländische Recht vorsieht, dass sich der Zugang zur Ehescheidung je nach Geschlechtszugehörigkeit der Ehegatten unterscheidet. Saugmandsgaard Øe weist hierzu darauf hin, dass das syrische Recht nach Angaben des OLG der Ehefrau nicht dieselben Zugangsvoraussetzungen zur Ehescheidung gewähre wie dem Ehemann.
Abstrakte Diskriminierung durch ausländisches Recht ausreichend
Nach Auffassung des Generalanwalts ist die Frage, ob der vom ausländischen Recht vorgesehene Zugang zur Ehescheidung zu einer Diskriminierung führt, abstrakt und nicht konkret im Hinblick auf die Umstände des Einzelfalls zu beurteilen. Daher reiche es aus, dass das anzuwendende ausländische Recht seinem Inhalt nach diskriminierend ist, um es unangewendet zu lassen. Denn der EU-Gesetzgeber habe die fragliche Diskriminierung als so schwerwiegend angesehen, dass sie ausnahmslos den absoluten Ausschluss des gesamten andernfalls anwendbaren Rechts zur Folge hat.
Auch keine Anwendung des ausländischen Rechts bei Einwilligung des diskriminierten Ehegatten in Ehescheidung
Das ausländische diskriminierende Recht dürfe auch nicht deshalb angewendet werden, weil der diskriminierte Ehegatte eventuell in die Ehescheidung eingewilligt hat, so der Generalanwalt weiter. Die in Art. 10 der Rom III-Verordnung enthaltene Regel, die auf der Beachtung von grundlegenden Werten beruhe, sei mit zwingendem Charakter ausgestattet und daher durch den Willen des EU-Gesetzgebers außerhalb des Bereichs gestellt, in dem die Betroffenen freiwillig auf den Schutz ihrer Rechte verzichten könnten.