EuGH-Generalanwalt: Polnische Justizreform lässt keine Einschränkung richterlicher Unabhängigkeit erkennen

Polnische Richter müssen in ihrem Kampf gegen Justizreformen der nationalkonservativen Regierung einen Rückschlag einstecken. Nach Ansicht von Generalanwalt Evgeni Tanchev am Europäischen Gerichtshof sei aktuell nicht feststellbar, ob die neuen Regelungen wirklich zu Einschränkungen der richterlichen Unabhängigkeit führten, so der Generalanwalt in seinem Schlussantrag in der Rechtssache (Az: C-558/18).

Polnische Gerichte rügten Einflussnahme der Regierung über Disziplinarkammer

In dem laufenden Verfahren verweisen mehrere polnische Gerichte unter anderem darauf, dass der Justizminister sich über die Justizreform Einfluss auf die Einleitung und Durchführung von Disziplinarverfahren gegen Richter verschafft habe. Die Disziplinargerichtsbarkeit könne demnach zu einem Werkzeug werden, um missliebige Personen zu entfernen. Zudem könnten sich Richter zu vorauseilendem Gehorsam gedrängt fühlen. Als Beispiel wird der Fall eines Bezirksgerichts genannt, das über eine Klage der Stadt Lowicz gegen den Fiskus entscheiden muss.

Entscheidung darf nicht zu hypothetischen Problemen angefordert werden

Tanchev weist darauf hin, dass es nach gefestigter Rechtsprechung unerlässlich sei, dass das nationale Gericht ein gewisses Maß an Erläuterungen zu den Gründen für die Wahl der unionsrechtlichen Bestimmungen, um deren Auslegung es ersuche, und zu dem Zusammenhang gebe, den es zwischen diesen Bestimmungen und den auf den Rechtsstreit anzuwendenden nationalen Rechtsvorschriften herstelle. Der Generalanwalt betont, dass der Gerichtshof Vorlagefragen als unzulässig werte, wenn ihre Beantwortung darauf hinauslaufe, dass er ein Gutachten zu Problemen allgemeiner oder hypothetischer Art abgebe.

Ersuchen wurde nicht hinreichend erläutert

Der Generalanwalt ist der Auffassung, dass die Vorabentscheidungsersuchen in den vorliegenden Rechtssachen keine hinreichenden Erläuterungen zu dem Verhältnis enthielten, das zwischen den einschlägigen Unionsrechtsvorschriften und den fraglichen nationalen Maßnahmen bestehe. Im Gegensatz zu anderen Rechtssachen, in denen der Gerichtshof ersucht worden sei, zu prüfen, ob nationale Maßnahmen, die mit der Reform des Justizsystems in Polen zusammenhingen, mit den Garantien für die richterliche Unabhängigkeit im Sinn von Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV vereinbar seien, fehle es in den Verfahrensakten an Angaben dazu, welche Vorschriften des polnischen Rechts mit diesen Garantien unvereinbar seien und weshalb. Zudem fänden sich in den Vorabentscheidungsersuchen Anzeichen einer subjektiven Voreingenommenheit in Bezug auf die Auswirkungen der neuen Disziplinarregelung auf die Fähigkeit der vorlegenden Richter, unabhängig zu entscheiden.

Subjektive Furcht vor Disziplinarmaßnahmen reicht nicht

Der Generalanwalt bemerkt, dass die Vorabentscheidungsersuchen in den vorliegenden Rechtssachen die Erforderlichkeit einer Auslegung von Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV für eine Entscheidung in den Ausgangsverfahren damit begründe, dass die vorlegenden Gerichte befürchteten, dass im Fall einer bestimmten Entscheidung in diesen Verfahren gegen die Richter der vorlegenden Gerichte Disziplinarverfahren eingeleitet würden. Daraus folge, dass noch keine Disziplinarverfahren eingeleitet worden seien. Den Vorabentscheidungsersuchen zufolge hegten die vorlegenden Gerichte lediglich eine subjektive Befürchtung, die sich noch nicht in Disziplinarverfahren konkretisiert habe und daher hypothetisch bleibe.

EuGH, Schlussanträge vom 24.09.2019 - C-558/18

Redaktion beck-aktuell, 24. September 2019 (dpa).

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