Bürgerinitiative muss sich anmelden
Nach dem Vertrag über die Europäische Union (Art. 11 Abs. 4 EUV) können Unionsbürger, deren Anzahl mindestens eine Million betragen muss und die aus mindestens einem Viertel aller Mitgliedstaaten stammen müssen, die Initiative ergreifen und die Kommission auffordern, im Rahmen ihrer Befugnisse dem Unionsgesetzgeber den Erlass eines Rechtsakts zur Umsetzung der Verträge vorzuschlagen. Bevor die Organisatoren einer Europäischen Bürgerinitiative mit der Sammlung der erforderlichen Zahl von Unterschriften beginnen können, müssen sie die Initiative bei der Kommission anmelden. Diese prüft insbesondere den Gegenstand und die Ziele der geplanten Bürgerinitiative.
Erforderliche Zahl von einer Million Unterschriften gesammelt
Patrick Grégor Puppinck und weitere sechs Personen (im Folgenden: Rechtsmittelführer) bilden den Bürgerausschuss der Europäischen Bürgerinitiative "Uno di noi" ("Einer von uns"), die 2012 von der Kommission registriert wurde. Mit ihr soll erreicht werden, dass die Union die Finanzierung von Tätigkeiten verbietet und unterbindet, die mit der Zerstörung menschlicher Embryonen verbunden sind. Nach ihrer Registrierung sammelte die Initiative die erforderliche Zahl von einer Million Unterschriften, bevor sie Anfang 2014 offiziell der Kommission vorgelegt wurde.
Initiative klagte vor EuG gegen Mitteilung der Kommission
Am 28.05.2014 erklärte die Kommission in einer Mitteilung, dass sie nicht beabsichtige, tätig zu werden. Da die Mitteilung der Kommission die Organisatoren der EBI nicht zufriedenstellte, beantragten sie beim Gericht der EU ihre Nichtigerklärung. In seinem Urteil (Az.: T-561/14) hat das Gericht erstens festgestellt, dass die Klage unzulässig sei, soweit sie von der Einheit "European Citizens’ Initiative One of Us" erhoben wurde, unbeschadet der Zulässigkeit der Klage, soweit sie auch von den sieben natürlichen Personen erhoben wurde, aus denen der Bürgerausschuss der EBI besteht. Zweitens stellte das Gericht fest, dass die Mitteilung eine mit einer Nichtigkeitsklage anfechtbare Handlung darstelle. Schließlich hat es die von den Rechtsmittelführern geltend gemachten fünf Nichtigkeitsgründe zurückgewiesen und die Klage abgewiesen.
Rechtsmittelführer monieren fünf Punkte
Mit dem vorliegenden Rechtsmittel beantragen die Rechtsmittelführer beim EuGH, das Urteil des Gerichts aufzuheben und die Mitteilung für nichtig zu erklären. Zur Stützung ihres Rechtsmittels machen sie geltend, dass das Gericht Art. 11 Abs. 4 EUV und die EBI-Verordnung (VO (EU) 211/2011) fehlerhaft ausgelegt habe, dass es die Mitteilung falsch geprüft habe, dass es eine unzutreffende Prüfungsebene angewandt habe, dass es die in der Mitteilung genannten Gründe unzutreffend beurteilt habe, und schließlich dass das Gericht das Ziel der fraglichen EBI missverstanden habe.
Erster Fall zu Weiterbehandlung einer EBI vor EuGH
Generalanwalt Bobek betonte in seinen Schlussanträgen, dass dies der erste Fall vor dem Gerichtshof über die Weiterbehandlung einer "erfolgreichen EBI" durch die Kommission sei und "Einer von uns" eine von bisher erst vier EBI sei, die die erforderliche Zahl von Unterschriften erreicht hätten. Dies eröffne zwei wichtige Grundsatzfragen, die die vorliegende Rechtssache aufwerfe: Erstens, ob die Kommission nach einer erfolgreichen EBI verpflichtet sei, einen konkreten Gesetzesvorschlag vorzulegen. Zweitens, welcher Maßstab der gerichtlichen Überprüfung für die Überprüfung des Standpunkts der Kommission zu einer erfolgreichen EBI gelte.
Generalanwalt weist Rechtsmittelgründe zurück
Der Generalanwalt ging sodann auf alle fünf Rechtsmittelgründe ein. Seines Erachtens beruht der erste Rechtsmittelgrund auf einer unzutreffenden Auslegung des Vertrags und der EBI-Verordnung und sei als unbegründet zurückzuweisen. Für die insoweit von den Rechtsmittelführern vertretenen Ansichten sprächen weder der Wortlaut oder die Entstehungsgeschichte der betreffenden Bestimmungen noch eine systematische und kontextuelle Betrachtung des EBI-Mechanismus innerhalb des interinstitutionellen Beschlussfassungsverfahrens noch die (zutreffend benannten) Ziele und Zwecke der EBI.
Verpflichtung zu Gesetzesvorschlag würde institutionelles Gleichgewicht stören
Insoweit führte der Generalanwalt aus, dass dem Wortlaut der betreffenden unionsrechtlichen Bestimmungen ebenso wie ihrer Entstehungsgeschichte eindeutig zu entnehmen sei, dass die EBI weder ihrer Konzeption noch ihrer Formulierung nach eine Verpflichtung der Kommission begründen sollte, den begehrten Vorschlag zu erlassen. Dies folge auch aus dem systematischen und institutionellen Kontext, in den die EBI eingebettet sei. Das institutionelle Gleichgewicht würde durch die von den Rechtsmittelführern vertretene Auslegung gestört. Sie würde dazu führen, dass eine EBI, die von einer Gruppe von mehr als einer Million Bürgern unterstützt werde, mit mehr Initiativwirkung ausgestattet wäre als das direkt demokratisch gewählte Europäische Parlament und auch als der – wenn auch indirekt – demokratisch legitimierte Rat. In der Praxis käme einem (abstimmendem) Bruchteil der europäischen Bürger mehr Gewicht zu als den beiden Unionsorganen, die durch (potenziell) sämtliche europäischen Bürger direkt oder indirekt legitimiert seien.
EBI dient der Artikulation politischer Fragen und verpflichtet zu Befassung
Zum Mehrwert der EBI in ihrer gegenwärtigen institutionellen Ausgestaltung im EUV und in der EBI-Verordnung führte der Generalanwalt aus, dass die EBI viel mehr sei als ein bloßes symbolisches Nicken gegenüber der partizipativen Demokratie. Es handele sich um ein institutionelles Instrument, das die Artikulation politischer Fragen ermögliche, die für eine Gruppe von Bürgern von Interesse seien. Es mache Fragen sichtbar, die Anliegen von Bürgern darstellten und möglicherweise noch nicht auf der Tagesordnung der Organe oder nicht einmal auf der Tagesordnung der im Europäischen Parlament vertretenen Fraktionen stünden. Es ermögliche einen direkten Zugang zu dem Organ, das im besonderen institutionellen Sui-generis-System der Union über das Initiativrecht für die Gesetzgebung verfüge. Darüber hinaus verpflichte es dieses Organ – die Kommission –, die Vorschläge einer erfolgreichen EBI ernsthaft zu prüfen und einer Bewertung zu unterziehen, und zwar öffentlich und unter öffentlicher Kontrolle.
Beschluss der Kommission lässt Erwägungen rechtlicher oder politischer Art erkennen
Bei seinem Vorschlag, den zweiten Rechtsmittelgrund zurückzuweisen, vertritt Generalanwalt Bobek entgegen dem Vorbringen der Rechtsmittelführer die Ansicht, dass die Mitteilung der Kommission die Voraussetzungen in der EBI-Verordnung dadurch erfülle, dass die Darstellung ihrer Schlussfolgerungen die in ihr enthaltenen Erwägungen rechtlicher oder politischer Art erkennen lasse.
Gerichte dürfen politische Beurteilung durch Kommission nicht ersetzen
Der dritte Rechtsmittelgrund werfe die zentrale Frage auf, welchem Maß an Kontrolle die Unionsgerichte eine Mitteilung unterziehen müssten, die die Entscheidung der Kommission über die Weiterbehandlung einer erfolgreichen EBI enthalte. In Bereichen, in denen – wie im Rahmen des ersten Rechtsmittelgrunds ausgeführt – das Ermessen der Kommission sehr weit sei, gelte allgemein entsprechend ein begrenzter Maßstab der gerichtlichen Kontrolle. Erforderlich werde ein eingeschränkter Prüfungsmaßstab durch den politischen Spielraum im Rahmen des Initiativrechts der Kommission, der untrennbar mit einem Ausgleich verschiedener Interessen und einer Wahlentscheidung zwischen politischen Optionen verbunden sei. Dieser Spielraum ergebe sich auch aus der politischen Natur der in der Mitteilung der Kommission enthaltenen Kernbeurteilung, wie und ob erfolgreiche EBI weiter behandelt würden, die Teil ihres Initiativrechts sei. Die Unionsgerichte dürften die politische Beurteilung durch die Kommission nicht ersetzen, die für ihre Entscheidung maßgebend sein müsse, durch Ausübung ihres Initiativrechts das Beschlussfassungsverfahren einzuleiten.
Beurteilungsfehler und Fehlverständnis der EBI
Generalanwalt Bobek schlägt ferner vor, den vierten und den fünften Rechtsmittelgrund zurückzuweisen, mit denen offensichtliche Beurteilungsfehler und ein Fehlverständnis der EBI gerügt werden.