EuGH-Generalanwalt: Haftpflichtversicherer der PIP durfte Schutz auf in Frankreich operierte Frauen beschränken

Der Haftpflichtversicherungsschutz der Poly Implant Prothèse SA (PIP), einer Herstellerin von Brustimplantaten, konnte wirksam auf Frauen beschränkt werden, die in Frankreich operiert wurden. Der Generalanwalt beim Europäischen Gerichtshof Michal Bobek führt dazu aus, das Unionsrecht stehe bei seinem gegenwärtigen Stand der Beschränkung des Haftpflichtversicherungsschutzes für Medizinprodukte auf das Hoheitsgebiet Frankreichs nicht entgegen. Dies gelte auch für Art. 18 AEUV, der eine Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit verbiete, da dieser Artikel keine durchsetzbaren Verpflichtungen begründen könne (Schlussanträge vom 06.02.2020, Az.: C-581/18).

In Deutschland operierte Frau verlangt Schadenersatz von Haftpflichtversicherer

Im Jahr 2006 wurden einer deutschen Patientin in Deutschland fehlerhafte Brustimplantate eingesetzt, die von der PIP, einem inzwischen insolventen französischen Unternehmen, hergestellt wurden. Die Implantate waren nicht mit medizinischem Silikon, sondern mit nicht zugelassenem Industriesilikon gefüllt. Die Patientin klagt vor deutschen Gerichten gegen die französische Versicherungsgesellschaft Allianz IARD, bei der PIP die in Frankreich obligatorische Haftpflichtversicherung abgeschlossen hatte, auf Schadenersatz. Der Versicherungsvertrag enthält allerdings eine Gebietsklausel, die den Versicherungsschutz ausschließlich auf in Frankreich begründete Schäden beschränkt. Daher sind nach der Klausel PIP-Implantate, die in einen anderen Mitgliedstaat exportiert und dort eingesetzt wurden, nicht vom Versicherungsvertrag erfasst.

OLG Frankfurt am Main hält Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit für möglich

Vor diesem Hintergrund möchte das Oberlandesgericht Frankfurt am Main wissen, ob es mit dem Verbot der Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit (Art. 18 AEUV) vereinbar ist, dass PIP bei der Allianz nur für Schäden versichert war, die durch ihre Implantate in Frankreich begründet wurden (NJW 2019, 525). Generalanwalt Michal Bobek führt zunächst aus, dass der vorliegende Fall in den Geltungsbereich des Unionsrechts falle. Insbesondere seien die Medizinprodukte, durch die der Schaden der Patientin begründet sein solle, unionsweit vertrieben worden. Der Schaden sei somit gewissermaßen eine Folge des Warenverkehrs innerhalb der Union gewesen. Dass die Patientin nicht von ihrer Freizügigkeit Gebrauch gemacht habe, sei für die Bestimmung des Anwendungsbereichs des Unionsrechts irrelevant.

EU- Sekundärrecht weist keine einschlägigen Vorschriften auf

Bobek prüft sodann, welche unionsrechtlichen Vorschriften auf die Rechtssache Anwendung finden könnten. Er weist darauf hin, dass das Sekundärrecht der Union keine besonderen Bestimmungen über die Haftpflichtversicherung für Schäden enthalte, die dem Endverbraucher von Medizinprodukten zugefügt würden. Die Richtlinie 85/374 über die Produkthaftung sehe zwar eine strenge Haftungsregelung für Hersteller vor, enthalte aber keine Vorschriften über eine Pflichtversicherung. Die Richtlinie 93/42 über Medizinprodukte wiederum verlange nur von benannten Stellen den Abschluss einer Haftpflichtversicherung. Für Hersteller gelte diese Pflicht nicht.

Bestimmungen über den freien Verkehr greifen nicht

Nach Auffassung des Generalanwalts erfassen die Bestimmungen über den freien Verkehr nationale Vorschriften, die die Ein- oder Ausfuhr von Waren in einen oder aus einem Mitgliedstaat behinderten. Sie regelten jedoch nicht den späteren Ge- oder Verbrauch von Waren nach deren Verbringung in einen anderen Mitgliedstaat. Sobald sich die Waren in einem anderen Mitgliedstaat im freien Verkehr befänden, müssten sie den Vorschriften entsprechen, die dieser Mitgliedstaat in Ausübung seiner Regelungshoheit erlassen habe. Der Umstand, dass in diesem Fall die Versicherung nicht mit den Waren nach Deutschland "reise", obwohl sie in Frankreich für den späteren Gebrauch dieser Waren im Inland verpflichtend sei, werde von den Bestimmungen über den freien Warenverkehr nicht erfasst.

Art. 18 AEUV kann keine durchsetzbaren Verpflichtungen begründen

In Bezug auf Art. 18 AEUV führt Bobek sodann aus, dass dieser Artikel nicht als eine eigenständige Bestimmung verstanden werden könne, die durchsetzbare Verpflichtungen begründen könne, die noch nicht in einer der vier Grundfreiheiten oder in einer anderen unionsrechtlichen Maßnahme speziell vorgesehen seien. Insbesondere würde Art. 18 AEUV durch eine solche Auslegung zu einer unbegrenzten Harmonisierungsvorschrift, was eine Störung der Zuständigkeitsverteilung zwischen der Union und den Mitgliedstaaten zur Folge hätte. Das Grundprinzip für die Regulierung des Binnenmarkts sei die Wahrung der Regelungsvielfalt in den durch das Unionsrecht nicht ausdrücklich harmonisierten Bereichen.

Art. 18 AEUV kann nicht jede beliebige Bestimmung eines Mitgliedstaats erfassen

In der heutigen vernetzten Welt ergebe sich früher oder später zwangsläufig eine gewisse Interaktion zwischen Waren, Dienstleistungen oder Personen aus anderen Mitgliedstaaten, fährt Bobek fort. Dass Waren ursprünglich aus einem anderen Mitgliedstaat stammten, stelle keinen hinreichenden Grund für die Annahme dar, dass jede spätere streitige Angelegenheit in Bezug auf diese Waren in den Anwendungsbereich des Unionsrechts falle. Würde dies für eine eigenständige Anwendbarkeit von Art. 18 AEUV ausreichen, würde jede beliebige Bestimmung eines Mitgliedstaats von dieser Vorschrift erfasst.

Widersprüche zwischen Regelungssystemen der Mitgliedstaaten programmiert

Dies hätte nicht nur zur Folge, dass jede Gebietsbezogenheit der Geltung von Gesetzen verdrängt würde, sondern würde auch zu Widersprüchen zwischen den Regelungssystemen der Mitgliedstaaten führen. Durch eine erweiternde Auslegung von Art. 18 AEUV könnten die Rechtsvorschriften jedes Mitgliedstaats potenziell Geltung in ein und demselben Hoheitsgebiet erlangen, ohne dass es klare objektive Kriterien dafür gäbe, welchen Rechtsvorschriften in einem konkreten Streitfall Vorrang einzuräumen wäre, wobei die zu Schaden gekommene Person die Möglichkeit hätte, das für sie günstigste Recht zu wählen.

Mangels Harmonisierung darf Frankreich Versicherungsschutz regeln

In Ermangelung einer Harmonisierung sei es daher Sache der Mitgliedstaaten, die Versicherung für die in ihrem Hoheitsgebiet verwendeten Medizinprodukte zu regeln, auch wenn diese Produkte aus einem anderen Mitgliedstaat eingeführt seien. Frankreich habe sich mit Recht dafür entscheiden können, ein höheres Schutzniveau für Patientinnen und Nutzerinnen von Medizinprodukten dadurch einzuführen, dass im eigenen Hoheitsgebiet günstigere Versicherungsverträge gelten.

EuGH, Schlussanträge vom 06.02.2020 - C-581/18

Redaktion beck-aktuell, 6. Februar 2020.

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