EuGH-Generalanwalt erachtet Thermofenster für unionsrechtswidrig
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Der Einbau eines "Thermofensters" (hier: VW und Porsche), mit dem entsprechend der Außentemperatur und der Höhenlage die Höhe der Schadstoffemissionen eines Kfz verändert wird, ist nach Ansicht des Generalanwalts am Europäischen Gerichtshof Athanasios Rantos unionsrechtswidrig. Das Thermofenster könne nicht mit dem Schutz des Motors vor Beschädigung oder Unfall und dem sicheren Betrieb des Kfz gerechtfertigt werden, wenn es vornehmlich der Schonung von Anbauteilen wie AGR-Ventil, AGR-Kühler und Dieselpartikelfilter diene, so Rantos.

"Thermofenster" mit Software-Update installiert

In den drei Rechtssachen geht es um ein "Thermofenster", das in Fahrzeugen des VW-Konzerns im Rahmen des Software-Updates installiert wurde. Dadurch wird die Abgasreinigung bei einer Außentemperatur von unter 15 Grad Celsius und bei einer Außentemperatur von über 33 Grad Celsius sowie bei einer Höhe des Fahrbetriebs von mehr als 1 000 Metern ausgeschaltet. Außerhalb dieses "Thermofensters" wird die Abgasrückführrate im Verlauf von 10 Grad Celsius und oberhalb von 1.000 Höhenmetern im Verlauf von 250 Höhenmetern linear auf 0 verringert, wodurch es zu einer Erhöhung der NOx-Emissionen über die Grenzwerte der Verordnung Nr. 715/2007 kommt. Die Rechtssachen wurden durch österreichische Gerichte vor den EuGH gebracht, um zu klären, ob es sich um eine unzulässige Abschalteinrichtung handelt.

EuGH-Generalanwalt wertet "Thermofenster" als Abschalteinrichtung

Laut EuGH-Generalanwalt stellt das Thermofenster eine Abschalteinrichtung dar.  Das Thermofenster sei für die tatsächlichen Fahrbedingungen nicht repräsentativ, da amtliche Statistiken zeigten, dass die Durchschnittstemperaturen der Jahre 2017 bis 2019 in Österreich und Deutschland sowie in anderen Mitgliedstaaten deutlich unter 15 Grad Celsius gelegen hätten. Aufgrund der Topografie Österreichs und Deutschlands führen die Kraftfahrzeuge außerdem vielfach in Höhen von mehr als 1.000 Metern. Rantos schließt daraus, dass das Thermofenster bei normalen Nutzungsbedingungen und normalem Fahrzeugbetrieb die Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems verringere.  

Abschalteinrichtung dient nicht Schutz des Motors 

Nach Ansicht des Generalanwalts greift auch keine Ausnahme vom Verbot der Verwendung von Abschalteinrichtungen  (Motorschutz, Gewährleistung des sicheren Fahrzeugbetriebs). Der Unionsgesetzgeber habe klar zwischen dem Motor, auf den sich die betreffende Ausnahme beziehe, und dem Emissionsminderungssystem unterschieden, zu dem das Abgasrückführungssystem (AGR-System) gehöre. Nach seiner Ansicht fällt eine Abschalteinrichtung, die vornehmlich der Schonung von Anbauteilen wie AGR-Ventil, AGR-Kühler und Dieselpartikelfilter diene, nicht unter die Verbotsausnahme, da das Funktionieren dieser Teile nicht den Schutz des Motors berühre.

Zeitpunkt der Installierung der Einrichtung irrelevant

Im Übrigen hänge die Zulässigkeit einer solchen Einrichtung nicht davon ab, ob sie bereits bei Herstellung des Fahrzeugs in diesem verbaut oder nachträglich installiert wurde, betont der Generalanwalt. Im Rahmen der EG-Typgenehmigung müssten die Fahrzeuge zudem den unionsrechtlichen Anforderungen entsprechen, insbesondere denjenigen in Bezug auf Abschalteinrichtungen. Sei dies nicht der Fall, verfügten sie nicht über eine ordnungsgemäße, vom Hersteller ausgestellte Übereinstimmungsbescheinigung, und ein Verkauf oder eine Zulassung seien nicht erlaubt.

Fahrzeug mit "Thermofenster" kaufvertragswidrig

Da ein normal informierter, angemessen aufmerksamer und verständiger Durchschnittsverbraucher erwarten dürfe, dass die rechtlichen Anforderungen eingehalten werden, sei das betreffende Fahrzeug aus Sicht des Generalanwalts, selbst wenn es keine spezifischen Vertragsklauseln gebe, nicht im Sinne der RL 1999/443 dem Kaufvertrag gemäß. Wenn keine ordnungsgemäße Übereinstimmungsbescheinigung vorliege, stimme das betreffende Fahrzeug nämlich nicht im Sinne der RL 1999/44 "mit der vom Verkäufer gegebenen Beschreibung“ überein, es eigne sich weder "für einen bestimmten vom Verbraucher angestrebten Zweck" noch "für die Zwecke …, für die Güter der gleichen Art gewöhnlich gebraucht werden", selbst wenn dieses Fahrzeug über eine gültige EG-Typgenehmigung verfüge.

Vertragswidrigkeit auch nicht geringfügig

Schließlich könne eine Vertragswidrigkeit, die darin bestehe, dass das betreffende Fahrzeug mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestattet ist, selbst dann nicht als "geringfügig" angesehen werden, wenn der Verbraucher das Fahrzeug selbst bei Kenntnis des Vorhandenseins dieser Einrichtung und ihrer Wirkungsweise erworben hätte. Unter diesen Umständen werde dem Verbraucher nicht das Recht genommen, gemäß der RL 1999/44 die Vertragsauflösung zu verlangen.

EuGH, Schlussanträge vom 23.09.2021 - C-128/20

Redaktion beck-aktuell, 23. September 2021.