Niederlande erteilten südafrikanischer Lebenspartnerin eines Briten Aufenthaltserlaubnis
Die Ausgangsklägerin, eine südafrikanische Staatsangehörige, ist Lebenspartnerin eines britischen Staatsangehörigen. Das Paar lebte von 2008 bis 2010 zusammen in Südafrika und zog dann in die Niederlande. Die Ausgangsklägerin wurde als Familienmitglied im weiteren Sinne eines Unionsbürgers gemäß der Freizügigkeitsrichtlinie 2004/38/EG eine niederländische Aufenthaltskarte ausgestellt. Die Richtlinie sieht vor, dass die Mitgliedstaaten die Einreise und den Aufenthalt des Lebenspartners eines Unionsbürgers, mit dem dieser eine dauerhafte Beziehung eingegangen ist, erleichtern, wenn der Unionsbürger sich in einen anderen als den Mitgliedstaat begibt, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt. In Bezug auf Anträge solcher Personen haben die Mitgliedstaaten eine eingehende Untersuchung der persönlichen Umstände durchzuführen und eine etwaige Verweigerung der Einreise oder des Aufenthalts zu begründen.
Lebenspartnerin begehrte nach gemeinsamem Umzug ins Vereinigte Königreich Aufenthaltserlaubnis
2013 zog das Paar in das Vereinigte Königreich, wo die Ausgangsklägerin eine Aufenthaltskarte beantragte. Das britische Innenministerium lehnte den Antrag auf der Grundlage von Rechtsvorschriften des Vereinigten Königreichs zur Umsetzung der Freizügigkeitsrichtlinie ab. Die besagten britischen Vorschriften regeln die Rechte der Familienangehörigen britischer Staatsangehöriger, die nach Ausübung ihrer Freizügigkeitsrechte in diesen Mitgliedstaat zurückkehren. Als Familienangehörige eines britischen Staatsangehörigen sind danach nur Antragsteller anzusehen, die entweder der Ehegatte oder der eingetragene Lebenspartner des britischen Staatsangehörigen sind. Die Ausgangsklägerin war zum Zeitpunkt ihres Antrags auf den Aufenthaltstitel nicht mit ihrem Partner verheiratet. Ihr Antrag wurde daher abgelehnt.
Vorlagegericht: Können unverheiratete Lebenspartner zurückkehrender EU-Bürger eine Aufenthaltserlaubnis oder -erleichterung verlangen?
Die Ausgangsklägerin legte gegen die Entscheidung des Innenministeriums einen Rechtsbehelf ein. Das zuständige britische Gericht rief den EuGH im Vorabentscheidungsverfahren an und legte ihm Fragen zur richtigen Auslegung der Freizügigkeitsrichtlinie und der Bedeutung des EuGH-Urteils in der Rechtssache Singh (BeckRS 2004, 76813) für das Ausgangsverfahren vor. Nach dieser Rechtsprechung müssen die Familienangehörigen von Unionsbürgern, die nach der Ausübung ihres Aufenthaltsrechts in einem anderen Mitgliedstaat in den Mitgliedstaat ihrer Staatsangehörigkeit zurückkehren, mindestens in den Genuss der Rechte kommen, die ihnen nach dem Unionsrecht in einem anderen Mitgliedstaat gewährt würden. Diese Rechtssache betraf jedoch den Ehegatten eines Unionsbürgers, während es im vorliegenden Fall um ein unverheiratetes Paar geht. Das Vorlagegericht wollte daher vom EuGH wissen, ob die im Singh-Urteil aufgestellten Grundsätze auch für den Fall gölten, dass der Drittstaatsangehörige mit dem in seinen Herkunftsmitgliedstaat zurückkehrenden Unionsbürger nicht verheiratet ist. Es wollte zudem wissen, ob eine Entscheidung, mit der eine Aufenthaltserlaubnis verweigert wird, rechtswidrig sei, wenn sie weder auf einer eingehenden Untersuchung der persönlichen Umstände des Antragstellers beruht noch eine angemessene oder hinreichende Begründung enthält.
EuGH-Generalanwalt verweist auf Rechtsprechung zu entsprechender Anwendbarkeit von Freizügigkeitsregelungen auf "Rückkehrer"
Der Generalanwalt weist zunächst darauf hin, dass der EuGH wiederholt entschieden habe, dass nach den Verträgen Unionsrechtsvorschriften auf dem Gebiet der Freizügigkeit entsprechende Anwendung finden können auf die Situation von Unionsbürgern, die nach Ausübung ihrer Freizügigkeitsrechte in den Mitgliedstaat ihrer Staatsangehörigkeit zurückkehren. Dieser Rechtsprechung liege der Gedanke zugrunde, dass eine Person anderenfalls davon abgehalten werden könnte, ihr Herkunftsland zu verlassen, um im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats eine unselbstständige oder selbstständige Tätigkeit auszuüben, wenn bei ihrer Rückkehr die Bedingungen für ihre Einreise und ihren Aufenthalt den Bedingungen nicht zumindest gleichwertig sind, die ihr im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats zustehen. Dieser Gedanke gelte in vollem Umfang auch für "Familienangehörige im weiteren Sinne", wie beispielsweise den unverheirateten Lebenspartner eines Unionsbürgers, so Bobek.
Keine Bestrafung zurückkehrender Unionsbürger
Er plädiert allerdings dafür, dass der EuGH weniger darauf abstellen sollte, ob eine Person wahrscheinlich ex ante von der Ausübung der Freizügigkeitsrechte abgehalten werde, sondern vielmehr darauf, dass sie nicht ex post dafür bestraft werde. Ein solcher Nachteil ergibt sich nach seiner Ansicht, wenn "zurückkehrende" Bürger denselben Regelungen unterlägen wie die Staatsbürger, die vom Recht auf Freizügigkeit niemals Gebrauch gemacht hätten, die innerstaatlichen Regeln jedoch die in einem anderen Mitgliedstaat entwickelten oder gefestigten Familienbande nicht anerkennen. Objektiv unterschiedliche Sachverhalte dürften und sollten seiner Auffassung nach nicht gleich behandelt werden.
Drittstaatsangehörigem Lebenspartner sind für "Familienangehörige im weiteren Sinne" geltende Rechte zu gewähren
Bobek kommt daher zu dem Ergebnis, dass ein Drittstaatsangehöriger, der mit einem Unionsbürger, der von seinem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch gemacht hat, eine dauerhafte Beziehung eingegangen ist, bei der Rückkehr des Unionsbürgers in dessen Heimatmitgliedstaat keine Behandlung erfahren darf, die weniger günstig ist als diejenige, die nach der Richtlinie für Familienangehörige im weiteren Sinne von Unionsbürgern gilt, die ihr Recht auf Freizügigkeit in anderen Mitgliedstaaten ausüben.
Entsprechende Anwendung der Erleichterungsregelung bedeutet kein automatisches Aufenthaltsrecht
Damit sei die Richtlinienvorschrift entsprechend anwendbar, die Mitgliedstaaten dazu verpflichte, Einreise und Aufenthalt Drittstaatsangehöriger, mit denen ein Unionsbürger eine dauerhafte Beziehung habe, zu erleichtern. Bobek betont aber, dass die Vorschrift nicht automatisch ein Aufenthaltsrecht verleihe. Die Schlussfolgerung, dass diese Vorschrift entsprechend für Unionsbürger gelten sollte, die in ihren Herkunftsmitgliedstaat zurückkehrten, könne für sich genommen nicht zur Anerkennung eines automatischen Aufenthaltsrechts ihres drittstaatsangehörigen Lebenspartners im Herkunftsmitgliedstaat führen. Vielmehr müsse diese Vorschrift für rückkehrende Bürger in gleicher Weise gelten wie für Bürger, die in einem anderen Mitgliedstaat lebten.
Ermessen hinsichtlich zu berücksichtigender Kriterien begrenzt
Laut Bobek räumt die Richtlinie den Mitgliedstaaten zwar ein Ermessen hinsichtlich der spezifischen Bedingungen und Kriterien ein, die in Bezug auf einen Antrag auf Einreise und/oder Aufenthalt des drittstaatsangehörigen Lebenspartners zu berücksichtigen seien. Allerdings gehe aus der Richtlinie klar hervor, dass dieses Ermessen zweifach begrenzt sei: Erstens durch das Erfordernis sicherzustellen, dass die "Familienangehörigen im weiteren Sinne" besser gestellt seien als die allgemeine Gruppe der Drittstaatsangehörigen und zweitens durch die Verpflichtung der Mitgliedstaaten zur Durchführung einer eingehenden Untersuchung der persönlichen Umstände und zur Begründung einer etwaigen Verweigerung der Einreise oder des Aufenthalts.
Aufenthaltserlaubnis in anderem EU-Staat begründet nicht zwingend Aufenthaltsrecht im Heimatstaat des Rückkehrers
Bobek betont außerdem, dass die Tatsache, dass eine Aufenthaltskarte durch einen anderen Mitgliedstaat ausgestellt worden sei, nicht unbedingt dazu führe, ein Aufenthaltsrecht im Herkunftsmitgliedstaat des Unionsbürgers (oder in jeglichem sonstigen Mitgliedstaat) zu begründen. Die Verpflichtung zur Erleichterung bedeute keine Verpflichtung zur Gewährung. Ferner bedeute die Tatsache, dass die Mitgliedstaaten berechtigt seien, ihre eigenen, unterschiedlichen Kriterien festzulegen, dass es weder eine "Verpflichtung zur gegenseitigen Anerkennung" gebe noch die Verpflichtung, mindestens die gleiche oder eine bessere Behandlung zu bieten als in dem vorhergehenden Aufnahmemitgliedstaat.
Anspruch auf eingehende Untersuchung des Antrags und Begründung bei Ablehnung
Im vorliegenden Fall schlägt Bobek dem EuGH vor zu entscheiden, dass die Ausgangsklägerin im Einklang mit der Auslegung der – zusammen betrachteten – Freizügigkeitsregeln in den Verträgen und in der Richtlinie einen Anspruch darauf habe, dass man ihren Antrag auf Aufenthalt im Vereinigten Königreich eingehend untersucht und im Fall der Ablehnung der Einreise oder des Aufenthalts die Ablehnung auf Grundlage des Ergebnisses dieser Untersuchung begründet. Diese müsse ihren besonderen persönlichen Umständen einschließlich ihrer Beziehung zum Unionsbürger Rechnung tragen.