Vereinigtes Königreich erhebt Fernglücksspielabgabe unabhängig vom Sitzstaat des Anbieters
2014 erließ das Vereinigte Königreich eine neue Steuerregelung für bestimmte Glücksspielabgaben. Danach müssen Glücksspielanbieter für alle Fernglücksspieleinsätze, die Verbraucher des Vereinigten Königreichs bei ihnen machen, eine Glücksspielabgabe entrichten, ohne dass es auf eine etwaige Doppelbesteuerung ankommt. Diese neue Steuerregelung ersetzt die bis dahin geltende Steuerregelung, wonach nur im Vereinigten Königreich ansässige Glücksspielanbieter Glücksspielabgaben auf ihre Bruttogewinne aus an Kunden weltweit erbrachten Glücksspieldienstleistungen zu entrichten hatten.
Gibraltarischer Wirtschaftsverband rügt Verstoß gegen Dienstleistungsfreiheit
Die Gibraltar Betting and Gaming Association ("GBGA"), ein Wirtschaftsverband, focht diese neue Steuerregelung vor dem High Court von England und Wales an. Der Verband sieht in der Abgabe einen Verstoß gegen die Dienstleistungsfreiheit nach Art. 56 AEUV. Er moniert, dass Fernglücksspieldienstleistungen, die von Anbietern mit Sitz in Gibraltar im Vereinigten Königreich angeboten werden, nunmehr einer zusätzlichen Abgabe im Vereinigten Königreich unterlägen.
Vorlagegericht: Dienstleistungsfreiheit auf Dienstleistungen zwischen Gibraltar und Vereinigtem Königreich anwendbar?
Die im Ausgangsverfahren beklagte Königliche Finanz- und Zollbehörde macht geltend, die Erbringung von Dienstleistungen zwischen Gibraltar und dem Vereinigten Königreich werde nicht vom EU-Recht erfasst. Jedenfalls könne in der neuen Regelung keine Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs gesehen werden, da es sich um eine unterschiedslos anwendbare steuerliche Maßnahme handle. Der High Court hat den EuGH im Vorabentscheidungsverfahren angerufen und möchte wissen, ob Gibraltar und das Vereinigte Königreich für die Zwecke des freien Dienstleistungsverkehrs so zu behandeln sind, als wären sie Teile eines einzigen Mitgliedstaats.
EuGH-Generalanwalt: Gibraltar und Vereinigtes Königreich für Zwecke des freien Dienstleistungsverkehrs Teile eines Mitgliedstaats
Nach Ansicht des EuGH-Generalanwalts Maciej Szpunar sind Gibraltar und das Vereinigte Königreich für die Zwecke des freien Dienstleistungsverkehrs als ein einziger Mitgliedstaat zu behandeln. Aus Art. 355 Abs. 3 AEUV ergebe sich zwar, dass das EU-Recht auf Gibraltar Anwendung findet. Die Bestimmung sage aber nichts zu dem Verhältnis zwischen dem Vereinigten Königreich und Gibraltar, wenn es um die Anwendung der Grundfreiheiten gehe. Mit Blick auf die EuGH-Rechtsprechung unterstreicht Szpunar allerdings, dass das Vereinigte Königreich und nicht Gibraltar mit der Ratifizierung der Verträge Verpflichtungen gegenüber den Mitgliedstaaten eingegangen sei. Deshalb würden Vertragsverletzungsverfahren in Bezug auf Gibraltar denkrichtig gegen das Vereinigte Königreich angestrengt. Auch könne Gibraltar Vertragsverletzungsverfahren nicht selbst einleiten. Käme die Dienstleistungsfreiheit zwischen dem Vereinigten Königreich und Gibraltar zur Anwendung, würde dies zu dem merkwürdigen Ergebnis führen, dass das Vereinigte Königreich eine Verpflichtung gegenüber sich selbst einginge. Szpunar ist im Ergebnis der Ansicht, dass Art. 355 Abs. 3 AEUV im Verhältnis zwischen dem Vereinigten Königreich und Gibraltar keine neuen oder zusätzlichen Rechte zu jenen schaffe, die sich aus dem Verfassungsrecht beider ergäben. Daher könnten Gibraltar und das Vereinigte Königreich für die Zwecke des freien Dienstleistungsverkehrs nichts anderes als ein einziger Mitgliedstaat sein.
Dienstleistungsfreiheit wäre durch neue Steuerregelung jedenfalls nicht beschränkt
Für den Fall, dass der EuGH abweichend entscheiden und die Anwendbarkeit der Dienstleistungsfreiheit auf Dienstleistungen zwischen Gibraltar und dem Vereinigten Königreich bejahen sollte, werde diese Freiheit durch die neue Steuerregelung jedenfalls nicht beschränkt, so Szpunar weiter. Mit der neuen Steuerregelung würden inländische Glücksspielabgaben auferlegt, die für alle Dienstleistungserbringer unterschiedslos gölten. Ob eine solche Beschränkung gerechtfertigt wäre, müsste das vorlegende Gericht prüfen. Es wäre dessen Sache festzustellen, ob die Fernglücksspielabgabe zur Erreichung der vom Vereinigten Königreich geltend gemachten Ziele – Herstellung gleicher Bedingungen für inländische und für ausländische Unternehmen und Gewährleistung einer ordnungsgemäßen steuerlichen Kontrolle über den Glücksspielmarkt durch das Vereinigte Königreich – geeignet und erforderlich sei.