Deutsche Vorratsdatenspeicherung nicht mit Unionsrecht vereinbar
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Die in Deutschland aktuell auf Eis liegende Vorratsdatenspeicherung ist nicht mit Unionsrecht vereinbar. Generalanwalt Manuel Campos Sánchez-Bordona bekräftigte in seinem Schlussantrag mit deutlichen Worten die bisherige Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs, nach der eine allgemeine und unterschiedslose Vorratsdatenspeicherung nur bei einer ernsten Bedrohung für die nationale Sicherheit erlaubt ist.

SpaceNet und Telekom wehren sich gegen Datenspeicherpflicht

Hintergrund ist unter anderem ein Rechtsstreit der Bundesnetzagentur mit dem Internetprovider SpaceNet und der Telekom. Die Unternehmen wehren sich gegen eine Vorschrift, bestimmte Daten für den Zugriff der Behörden aufzubewahren. Die Bundesnetzagentur hatte die deutsche Regelung bereits 2017 auf Eis gelegt, nachdem das Oberverwaltungsgericht Münster entschieden hatte, dass SpaceNet nicht zur Speicherung der Daten verpflichtet werden darf. Das war wenige Tage, bevor die neue Regel eigentlich in Kraft treten sollte. Die sogenannte Vorratsdatenspeicherung ist hoch umstritten: Während Sicherheitspolitiker in ihr ein zentrales Instrument im Kampf gegen organisierte Kriminalität, Kinderpornografie und Terrorismus sehen, halten Bürgerrechtler und Verbraucherschützer sie für einen unzulässigen Eingriff in die Privatsphäre. Die EU-Staaten hielten bei ihrem Gipfel im März hingegen zuletzt fest, dass Strafverfolgungs- und Justizbehörden zur Bekämpfung von schwerer Kriminalität die Vorratsdatenspeicherung bräuchten.

Generalanwalt über Festhalten an der Vorratsdatenspeicherung in Deutschland verwundert

Beim Gerichtshof waren drei Vorabentscheidungsersuchen eingegangen. Zwei dieser Ersuchen wurden vom Bundesverwaltungsgericht vorgelegt, das über die Revision der Bundesnetzagentur gegen die oben genannten Urteile zu entscheiden hat. Bereits 2020 hatte der EuGH in zwei Urteilen in ähnlichen Fällen gegen die Vorratsdatenspeicherung entschieden. Gleichwohl wurden die Vorabentscheidungsersuchen aufrecht erhalten. Der Gerichtshof wurde in seiner Mitteilung zu den deutschen Rechtsstreiten sowie weiteren in Irland und Frankreich anhängigen nun ungewöhnlich deutlich: "Auch wenn zu erwarten gewesen wäre, dass der Debatte damit ein Ende gesetzt wurde, weil der Gerichtshof sich – im Dialog mit den nationalen Gerichten – um eine detaillierte Erläuterung der Gründe bemühte, die trotz allem die vertretenen Thesen rechtfertigten, scheint die Debatte noch kein Ende gefunden zu haben", monierte der EuGH-Generalanwalt. Es sei schließlich so, dass die Antworten auf alle vorgelegten Fragen bereits in der Rechtsprechung des Gerichtshofs zu finden seien oder unschwer aus ihr abgeleitet werden könnten.

Anlassloses Datensammeln ist gefährlich und ein schwerer Grundrechtseingriff

Mit Blick auf das deutsche Gesetz betonte der Generalanwalt, dass die Pflicht zur allgemeinen und unterschiedslosen Vorratsspeicherung eine große Vielzahl von Verkehrs- und Standortdaten betreffe. Auch die zeitliche Begrenzung der Vorratsdatenspeicherung ändere dies nicht, da die Speicherung der Daten grundsätzlich selektiv erfolgen müsse. Mit der allgemeinen Speicherung der Daten sei eine schwere Gefahr verbunden. Der Generalanwalt erinnerte außerdem daran, dass der Zugang zu den Daten in jedem Fall einen schwerwiegenden Eingriff in die Grundrechte auf Familien- und Privatleben sowie in den Schutz personenbezogener Daten darstelle. Der FDP-Europaabgeordnete Moritz Körner sprach vom "finalen Sargnagel für die Vorratsdatenspeicherung" in Deutschland. "Die anlasslose Massenspeicherung der Kommunikationsdaten wird nie mit dem Recht auf Vertraulichkeit der elektronischen Kommunikation vereinbar sein", sagte Körner.

DAV sieht sich durch das Votum bestätigt

Der DAV warnt schon seit Langem vor einer Wiederbelebung der Vorratsdatenspeicherung und lehnt sie aufgrund ihres erheblichen Eingriffs in die Grundrechte und in das anwaltliche Berufsgeheimnis entschieden ab. Die anlasslose Totalüberwachung unbescholtener Bürgerinnen und Bürger müsse ein Tabu bleiben. Es gebe nicht einmal empirische Erkenntnisse, ob Gefahrenabwehr und Strafverfolgung mit dem digitalen Schrotflintenprinzip überhaupt effektiv sein können, meinte Hauptgeschäftsführerin Sylvia Ruge in einem aktuellen Statement zum Votum des Generalanwalts. Wie beharrlich die EU-Kommission und etliche Mitgliedstaaten dennoch die Vorratsdatenspeicherung nutzen wollten, zeige sich an der Häufigkeit, mit der diese Bestrebungen vor dem EuGH landeten – und abgeschmettert würden. “Seit dem Tele2-Urteil von 2016 sollte klar sein: Die anlasslose und verdachtsunabhängige Speicherung von Daten auf Vorrat verstößt gegen die E-Privacy-Richtlinie und die EU-Grundrechtecharta. Es ist ein gutes Zeichen, dass der Generalanwalt dies heute erneut betont hat“, so Ruge.

EuGH, Schlussanträge vom 18.11.2021 - C-793/19

Redaktion beck-aktuell, 18. November 2021 (ergänzt durch Material der dpa).