An­spruch auf Rei­se­preis­min­de­rung auch bei co­ro­na­be­ding­ter Ver­trags­wid­rig­keit
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Gerhard Seybert / stock.adobe.com
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Rei­se­ver­an­stal­ter sind auch dann zur Min­de­rung des Prei­ses einer Pau­schal­rei­se ver­pflich­tet, wenn sie auf­grund staat­li­cher Co­ro­na-Maß­nah­men einen Pau­schal­rei­se­ver­trag nicht er­fül­len kön­nen. Diese An­sicht ver­tritt die Ge­ne­ral­an­wäl­tin am Eu­ro­päi­schen Ge­richts­hof Laila Me­di­na in ihren Schluss­an­trä­gen. Bei Ver­trags­stor­nie­run­gen sei grund­sätz­lich eine Er­stat­tung in Geld vor­zu­neh­men, die in Frank­reich 2020 ge­wähl­te Gut­schein­lö­sung sei wohl un­ver­hält­nis­mä­ßig.

Fall 1: Ur­laubs­rei­se auf die Ka­na­ren en­de­te pan­de­mie­be­dingt vor­zei­tig

In dem einen Fall hat­ten die Aus­gangs­klä­ger eine vier­zehn­tä­gi­ge Ur­laubs­rei­se von Deutsch­land auf die Ka­na­ri­schen In­seln für März 2020 ge­bucht. Pan­de­mie­be­dingt en­de­te ihre Reise je­doch nach sie­ben Tagen. Sie ver­lang­ten in der Folge eine Preis­min­de­rung in Höhe von 70% des an­tei­li­gen Rei­se­prei­ses für sie­ben Tage. Das LG Mün­chen I rief den EuGH an. Es woll­te wis­sen, ob der Rei­sen­de auch dann nach Art. 14 Abs. 1 der Pau­schal­rei­se­richt­li­nie 2015/2302/EU An­spruch auf eine Min­de­rung des Prei­ses für die Pau­schal­rei­se hat, wenn deren Ver­trags­wid­rig­keit auf staat­lich an­ge­ord­ne­te Co­ro­na-Ein­schrän­kun­gen zu­rück­zu­füh­ren ist.

EuGH-Ge­ne­ral­an­wäl­tin: Hö­he­re Ge­walt ent­bin­det nicht von Ver­pflich­tung zur Preis­min­de­rung

Ge­ne­ral­an­wäl­tin Laila Me­di­na ver­tritt die Auf­fas­sung, dass der Rei­se­ver­an­stal­ter nicht von sei­ner Ver­pflich­tung zur an­ge­mes­se­nen Preis­min­de­rung be­freit ist. Die im März 2020 als Re­ak­ti­on auf die Pan­de­mie an­ge­ord­ne­ten re­gu­la­to­ri­schen Ein­schrän­kun­gen seien als hö­he­re Ge­walt an­zu­se­hen. Un­ver­meid­ba­re und au­ßer­ge­wöhn­li­che Um­stän­de be­frei­ten den Rei­se­ver­an­stal­ter aber nicht von sei­ner Ver­pflich­tung zur Preis­min­de­rung. Dass ähn­li­che Co­ro­na-Maß­nah­men am Wohn­ort der Klä­ger, in Deutsch­land, an­ge­ord­net wor­den seien, lasse den An­spruch auf eine Preis­min­de­rung un­be­rührt. Die "an­ge­mes­se­ne" Min­de­rung sei von den na­tio­na­len Ge­rich­ten unter Be­rück­sich­ti­gung aller Um­stän­de des Ein­zel­falls fest­zu­le­gen. Dabei könne das na­tio­na­le Ge­richt die Ur­sa­che der Ver­trags­wid­rig­keit, ein et­wai­ges Ver­schul­den des Rei­se­ver­an­stal­ters, Re­gress­an­sprü­che in der Lie­fer­ket­te und staat­li­che Hil­fen be­rück­sich­ti­gen. Die Zah­lung der Preis­min­de­rung sei ent­spre­chend der Re­ge­lung für den Scha­dens­er­satz un­ver­züg­lich, also ohne schuld­haf­tes Zö­gern, zu leis­ten. In die­sem Rah­men könn­ten die na­tio­na­len Ge­rich­te den pan­de­mie­be­ding­ten Li­qui­di­täts­pro­ble­men der Rei­se­ver­an­stal­ter Rech­nung tra­gen.

Fall 2: Gut­schein­lö­sung bei co­ro­na­be­ding­ten Rei­sestor­nie­run­gen in Frank­reich

Im zwei­ten Fall ging es um eine fran­zö­si­sche Co­ro­na-Gut­schein­lö­sung für die Tou­ris­mus­bran­che. Da­nach konn­ten die Rei­se­ver­an­stal­ter bei Ver­trags­stor­nie­run­gen auf­grund der Pan­de­mie einen Gut­schein aus­stel­len statt den Rei­sen­den ihre Zah­lun­gen voll zu er­stat­ten. Mit der Re­ge­lung soll­te die Li­qui­di­tät und Sol­venz der Leis­tungs­er­brin­ger ge­si­chert wer­den. Die Aus­gangs­klä­ge­rin­nen, fran­zö­si­sche Ver­brau­cher­schutz­ver­bän­de, rüg­ten einen Ver­stoß gegen die Pau­schal­rei­se­richt­li­nie.

"Er­stat­tung" meint Geld­zah­lung

Laut Me­di­na meint Be­griff "Er­stat­tung" eine Er­stat­tung in Geld. Eine Gut­schein­lö­sung sei da­durch aus­ge­schlos­sen. Der Grund­satz der hö­he­ren Ge­walt bei ob­jek­ti­ver Un­mög­lich­keit der Ein­hal­tung des Uni­ons­rechts könn­te Rei­se­ver­an­stal­tern zwar eine sehr be­grenz­te Mög­lich­keit einer vor­über­ge­hen­den Be­frei­ung von der Er­fül­lung ihrer Ver­pflich­tun­gen ein­räu­men. Die Gut­schein­lö­sung stel­le je­doch das Gleich­ge­wicht zwi­schen den Par­tei­en nicht wie­der her, da es den Rei­sen­den be­nach­tei­li­ge.

EU-Staat kann sich aus­nahms­wei­se auf hö­he­re Ge­walt be­ru­fen

Nach Me­di­nas An­sicht kann sich ein Mit­glied­staat zur Ab­wei­chung von der Richt­li­nie aus­nahms­wei­se auf hö­he­re Ge­walt be­ru­fen. Daher könn­ten die Pan­de­mie und ihre au­ßer­ge­wöhn­li­chen Aus­wir­kun­gen auf den Tou­ris­mus­sek­tor eine vor­über­ge­hen­de re­gu­la­to­ri­sche Aus­nah­me von der Ver­pflich­tung des Ver­an­stal­ters, dem Rei­sen­den alle ge­tä­tig­ten Zah­lun­gen in­ner­halb von 14 Tagen nach Be­en­di­gung des Ver­trags voll zu er­stat­ten, recht­fer­ti­gen. Eine sol­che Aus­nah­me sei nur für den Zeit­raum ge­recht­fer­tigt, der er­for­der­lich sei, um dem Mit­glied­staat die Mög­lich­keit zu geben, die un­über­wind­li­chen Schwie­rig­kei­ten aus­zu­räu­men, die ihn an der An­wen­dung der diese Ver­pflich­tung um­set­zen­den na­tio­na­len Re­ge­lung hin­der­ten.

Fran­zö­si­sche Re­ge­lung wohl un­ver­hält­nis­mä­ßig

Dabei ob­lie­ge dem Mit­glied­staat, der sich auf einen Fall hö­he­rer Ge­walt be­ru­fe, nach­zu­wei­sen, dass eine Ab­wei­chung vom Uni­ons­recht er­for­der­lich sei, um sol­che pan­de­mie­be­ding­ten Schwie­rig­kei­ten zu über­win­den, und es müsse fest­ste­hen, dass es keine Al­ter­na­ti­ve gebe. Die fran­zö­si­sche Re­ge­lung gehe wohl über das hin­aus, was er­for­der­lich und ver­hält­nis­mä­ßig sei.

EuGH, Schlussanträge vom 15.09.2022 - C-396/21

Redaktion beck-aktuell, 15. September 2022.

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