Erfordernis nach Giersch-Urteil eingeführt
Nach luxemburgischem Recht konnten Kinder von Grenzgängern, die in Luxemburg beruflich tätig sind, eine finanzielle Studienbeihilfe unter der Voraussetzung beantragen, dass der Grenzgänger zum Zeitpunkt der Antragstellung mindestens fünf Jahre lang ununterbrochen in Luxemburg gearbeitet hat. Dieses Erfordernis war im Juli 2013 infolge eines Urteils des Gerichtshofs in der Rechtssache Giersch (BeckRS 2013, 81249) eingeführt und im Juli 2014 durch eine flexiblere Regelung ersetzt worden. Nunmehr reicht es aus, dass der Grenzgänger in einem Zeitraum von sieben Jahren vor der Beantragung der Beihilfe fünf Jahre lang in Luxemburg gearbeitet hat.
Sachverhalt
André Angelo Linares Verruga wohnt mit seinen Eltern, Maria do Céu Bragança Linares Verruga und Jacinto Manuel Sousa Verruga, in Longwy (Frankreich). Seine Mutter ist seit dem 15.05.2004 in Luxemburg beschäftigt; diese Berufstätigkeit unterbrach sie nur einmal für weniger als drei Monate, nämlich von Ende 2011 bis Anfang 2012. Auch sein Vater war von 2004 bis 2011 sowie von 2013 bis 2014 in Luxemburg als Arbeitnehmer beschäftigt. Seit dem 01.02.2014 ist er dort als Selbstständiger tätig.
Verwaltungsgericht zweifelt an Zulässigkeit der Regelung
Linares Verruga, der an der Universität Lüttich (Belgien) immatrikuliert war, beantragte bei den luxemburgischen Behörden die Gewährung einer Studienbeihilfe für das Wintersemester und das Sommersemester des Studienjahrs 2013/2014. Die luxemburgischen Behörden lehnten diese Anträge ab, da weder seine Mutter noch sein Vater zum jeweiligen Zeitpunkt der Antragstellung fünf Jahre lang ununterbrochen in Luxemburg gearbeitet hatten. Hiergegen erhob Linares Verruga Klage vor dem Tribunal administratif (Verwaltungsgericht) Luxemburg, das daraufhin dem EuGH die Frage vorgelegt hat, ob das Erfordernis der ununterbrochenen Mindestarbeitsdauer von fünf Jahren mit Unionsrecht vereinbar ist.
EuGH geht von nicht gerechtfertigter Ungleichbehandlung aus
Der EuGH hat jetzt entschieden, dass das Erfordernis der ununterbrochenen Mindestarbeitsdauer von fünf Jahren eine nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung darstellt und somit gegen das Unionsrecht verstößt. Er wies darauf hin, dass es für Studenten, die im luxemburgischen Hoheitsgebiet wohnen, kein solches Erfordernis gibt. Eine solche Unterscheidung aufgrund des Wohnsitzes könne sich stärker zum Nachteil der Angehörigen anderer Mitgliedstaaten auswirken, da Gebietsfremde meist Ausländer seien. Der Gerichtshof schließt deshalb auf das Vorliegen einer Ungleichbehandung.
Maßnahmen gegen "Stipendientourismus" grundsätzlich berechtigt
Luxemburgs Anliegen mit der fraglichen Regelung sicherzustellen, dass der Grenzgänger ein Band der Integration mit der luxemburgischen Gesellschaft aufweist, sei zwar berechtigt. Denn es dürfe eine hinreichende Verbundenheit mit diesem Mitgliedstaat verlangt werden, um der Gefahr von "Stipendientourismus" entgegenzutreten. Der EuGH hat deshalb das Erfordernis der Mindestarbeitsdauer des in Luxemburg arbeitenden Elternteils als solches für angemessen erachtet. Es sei insbesondere geeignet, eine Verbundenheit des Arbeitnehmers mit der luxemburgischen Gesellschaft sowie die angemessene Wahrscheinlichkeit dafür zu belegen, dass der Student später nach Luxemburg zurückkehren wird.
Fünfjährige ununterbrochene Mindestarbeitsdauer zu weitgehend
Das Erfordernis einer ununterbrochenen Mindestarbeitsdauer von fünf Jahren gehe aber über das hinaus, was zur Erreichung des angestrebten Ziels erforderlich ist. Es erlaube den zuständigen Behörden nämlich die Gewährung einer Beihilfe nicht, wenn – wie im vorliegenden Fall – die Eltern, von einigen kurzen Unterbrechungen abgesehen, in der Zeit vor der Antragstellung für eine erhebliche Dauer (vorliegend fast acht Jahre) in Luxemburg gearbeitet haben. Da solche Unterbrechungen die Verbundenheit zwischen Luxemburg und dem Antragsteller der Beihilfe nicht lösen, kommt der EuGH zu dem Ergebnis, dass das Erfordernis, fünf Jahre lang ununterbrochen in Luxemburg gearbeitet zu haben, eine Beschränkung darstellt, die über das hinausgeht, was zur Erreichung des von Luxemburg verfolgten rechtmäßigen Ziels hinausgeht.