Frankreich unterrichtete Kommission wirksam über Notwendigkeit von Notfallmaßnahmen zum Bienenschutz

Frankreich hat die Europäische Kommission wirksam gemäß der Pflanzenschutzverordnung über die Notwendigkeit von Notfallmaßnahmen insbesondere zum Bienenschutz unterrichtet. Dies hat der Europäische Gerichtshof mit Urteil vom 08.10.2020 entschieden. Frankreich hatte die Verwendung mehrerer neonikotinoider Wirkstoffe verboten, die von der Kommission zugelassen worden waren.

Pflanzenschutzverordnung erlaubt EU-Staaten Notfallmaßnahmen

Die Pflanzenschutzverordnung (EG) Nr. 1107/2009 harmonisiert die Zulassung von Wirkstoffen und Pflanzenschutzmitteln in der Europäischen Union. Die Mitgliedstaaten dürfen aber dennoch einseitige Schutzmaßnahmen treffen, wenn sie zuvor gegenüber der Kommission Bedenken bezüglich eines Wirkstoffs geäußert haben und die Kommission keine eigenen Schutzmaßnahmen erlässt.

Frankreich notifizierte beabsichtigtes Verbot neonikotinoider Wirkstoffe

Frankreich richtete der Form nach eine Mitteilung gemäß der Notifizierungsrichtlinie 2015/1535/EU an die Kommission, berief sich aber nicht ausdrücklich auf die Schutzklausel der Pflanzenschutzverordnung.

Kommission teilte Bedenken teilweise

Die Kommission antwortete, dass sie Frankreichs Bedenken hinsichtlich bestimmter Wirkstoffe der Familie der Neonicotinoide teile. Sie erläuterte, dass die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) Schlussfolgerungen zu drei der im übermittelten Dekretentwurf genannten Wirkstoffe veröffentlicht habe. Dies veranlasse die Kommission dazu, die Notwendigkeit der Umsetzung anderer Einschränkungen zu prüfen.

Kommission verbietet drei Wirkstoffe

Aufgrund von Risiken für Bienen hatte die Kommission die Verwendung von Clothianidin, Thiamethoxam und Imidacloprid bereits mit der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 485/20133 vom 24.05.2013 eingeschränkt, obwohl bestimmte Nutzungen im Freiland weiterhin möglich blieben. Am 29.05.2018 untersagten drei Durchführungsverordnungen der Kommission die Verwendung dieser drei Wirkstoffe ab dem 19.12.2018. Ausgenommen waren die Behandlungen für Kulturen in dauerhaft errichteten Gewächshäusern, die während ihres gesamten Wachstumszyklus in einem Gewächshaus bleiben.

Frankreich erlässt umfassenderes Verbot

Der französische Premierminister erließ am 30.07.2018 ein Dekret, das Acetamiprid, Clothianidin, Imidacloprid, Thiacloprid und Thiamethoxam verbietet. Der französische Verband der Pflanzenschutzindustrie erhob beim Staatsrat (Conseil d’État) Klage auf Nichtigerklärung dieses Dekrets, soweit es mit der Pflanzenschutzverordnung unvereinbar sei.

Notifizierung des Verbots ausreichende Unterrichtung nach der Pflanzenschutzverordnung?

Nach Auffassung des Staatsrats hängt die Rechtmäßigkeit des Dekrets davon ab, ob Frankreich nach der Pflanzenschutzverordnung die Befugnis gehabt habe, dieses Dekret als Notfallmaßnahme zu erlassen. Er wollte vom EuGH wissen, ob in der Übermittlung des Verbots bestimmter unter die Pflanzenschutzverordnung fallender Wirkstoffe eine offizielle Unterrichtung über die Notwendigkeit von Notfallmaßnahmen im Sinne dieser Verordnung anzusehen ist.

EuGH:  Pflanzenschutzverordnung schreibt für Unterrichtung keine besondere Form vor

Zwar ergebe sich aus seiner Rechtsprechung, dass ein Mitgliedstaat neben den materiellen Voraussetzungen auch die festgelegten Verfahrensbedingungen beachten müsse, wenn er die durch einen Unionsakt vorgesehene Befugnis, Notfallmaßnahmen zu ergreifen, in Anspruch nimmt, führt der EuGH aus. Die Befassung der Kommission gemäß der Pflanzenschutzverordnung setze aber nur voraus, dass der Mitgliedstaat die Kommission "offiziell unterrichtet", ohne dass diese Unterrichtung in einer besonderen Form erfolgen muss. Zudem betont der EuGH, dass die Kommission die Grundsätze der loyalen Zusammenarbeit und der ordnungsgemäßen Verwaltung  beachten müsse.

Notifizierung unter zwei Voraussetzungen als Unterrichtung anzusehen

Laut EuGH ist daher die Übermittlung eines nationalen Verwendungsverbots für bestimmte unter die Pflanzenschutzverordnung fallende Wirkstoffe unter zwei Voraussetzungen als eine offizielle Unterrichtung über die Notwendigkeit von Notfallmaßnahmen anzusehen. Erstens müsse diese Mitteilung klar Anhaltspunkte dafür darlegen, dass diese Wirkstoffe wahrscheinlich ein schwerwiegendes Risiko für die Gesundheit  von Mensch und Tier oder die Umwelt  darstellen und dass diesem Risiko ohne die nationalen Schutzmaßnahmen nicht begegnet werden könne. Und zweitens müsse die Kommission es unterlassen haben, diesen Mitgliedstaat zu fragen, ob die Mitteilung als offizielle Unterrichtung im Sinne der Verordnung anzusehen sei.

Mitteilung des Verbotsentwurfs lässt Pflicht zu Unterrichtung über endgültiges Verbot unberührt

Dass die offizielle Unterrichtung der Kommission bereits einen Maßnahmenentwurf enthalte, entbinde den Mitgliedstaat aber nicht von der Verpflichtung, die anderen Mitgliedstaaten und die Kommission gemäß der Pflanzenschutzverordnung unverzüglich über den endgültigen Erlass dieser Maßnahme zu unterrichten, betont der EuGH.

Durchführungsverordnungen waren keine Reaktion auf Mitteilung Frankreichs

Ferner legt der EuGH dar, dass die Durchführungsverordnungen nicht als Maßnahmen angesehen werden könnten, die die Kommission als Reaktion auf die Mitteilung Frankreichs getroffen habe. Der Unionsgesetzgeber habe damit ein spezifisches Notfallverfahren eingeführt, das zwar eng mit den Notfallverfahren nach der Pflanzenschutzverordnung verbunden sei. Die Durchführungsverordnungen seien aber nicht auf der Grundlage dieser Notfallverfahren der Pflanzenschutzverordnung, sondern auf der Grundlage anderer Bestimmungen dieser Verordnung erlassen worden.

EuGH, Urteil vom 08.10.2020 - C-514/19

Redaktion beck-aktuell, 8. Oktober 2020.