EuGH: Frankreich, Schweden und Belgien erfüllen Vorgaben des EU-Haftbefehls

Die französische, die schwedische und die belgische Staatsanwaltschaft genügen den Anforderungen, die für den Erlass eines Europäischen Haftbefehls verlangt werden, und gewähren auch den Umfang des gerichtlichen Schutzes, der von einem solchen Haftbefehl betroffenen Personen zugute kommen muss. Dies hat der Europäische Gerichtshof im Eilverfahren mit mehreren Urteilen vom 12.12.2019 entschieden (Az.: C-566/19 PPU, C-626/19 PPU, BeckRS 2019, 3124, C-625/19 PPU, BeckRS 2019, 31230 und C-627/19 PPU, BeckRS 2019, 31226).

EuGH vervollständigt Rechtsprechung

Der Gerichtshof vervollständigte mit den Urteilen seine jüngste Rechtsprechung (BeckRS 2019, 9722, BeckRS 2019, 9647, BeckRS 2019, 23510) zum Rahmenbeschluss 2002/584 über den Europäischen Haftbefehl durch Ausführungen zum Erfordernis der Unabhängigkeit der einen Europäischen Haftbefehl "ausstellenden Justizbehörde" und zum Erfordernis des wirksamen gerichtlichen Rechtsschutzes, der den Personen zugute kommen muss, gegen die ein solcher Haftbefehl erlassen wird.

Eigenschaft als "ausstellende Justizbehörde" unklar

In den Ausgangsverfahren waren Europäische Haftbefehle von der französischen (C-566/19 PPU und C-626/19 PPU), der schwedischen (C-625/19 PPU) und der belgischen Staatsanwaltschaft (C-627/19 PPU) erlassen worden, und zwar in den ersten drei Rechtssachen zur Strafverfolgung und im letztgenannten Fall zur Vollstreckung einer Strafe. Es stellte sich die Frage der Vollstreckung der Europäischen Haftbefehle, die unter anderem von der Eigenschaft dieser jeweiligen Staatsanwaltschaften als "ausstellende Justizbehörde" abhing.

Erstes Erfordernis: Ausreichende Gewähr der Unabhängigkeit erforderlich

Der Gerichtshof hat in einem ersten Schritt geprüft, ob der Status der französischen Staatsanwaltschaft ihr eine ausreichende Gewähr der Unabhängigkeit für den Erlass von Europäischen Haftbefehlen verschafft, und entschieden, dass dies der Fall ist. Um zu diesem Schluss zu kommen, wies der EuGH zunächst darauf hin, dass der Begriff "ausstellende Justizbehörde" die Behörden eines Mitgliedstaats einschließen kann, die, ohne Richter oder Gerichte zu sein, an der Strafrechtspflege mitwirken und unabhängig handeln. Diese letztgenannte Voraussetzung verlange, dass es Rechts- und Organisationsvorschriften gibt, mit denen sichergestellt werden kann, dass die betreffenden Behörden im Rahmen des Erlasses eines Europäischen Haftbefehls nicht in irgendeiner Weise Gefahr laufen, Anordnungen oder Einzelweisungen seitens der Exekutive unterworfen zu werden.

Vorgelegte Gesichtspunkte bei französischer Staatsanwaltschaft ausreichend

Was die Beamten der französischen Staatsanwaltschaft betrifft, genügen nach Ansicht des EuGH die vorgelegten Gesichtspunkte für den Nachweis, dass sie über die Befugnis verfügen, unabhängig – insbesondere in Bezug auf die Exekutive – die Notwendigkeit des Erlasses eines Europäischen Haftbefehls und seine Verhältnismäßigkeit zu beurteilen, und dass sie diese Befugnis in objektiver Weise unter Berücksichtigung aller be- und entlastenden Gesichtspunkte ausüben. Ihre Unabhängigkeit werde weder dadurch in Frage gestellt, dass sie mit der Strafverfolgung betraut sind, noch dadurch, dass der Justizminister ihnen allgemeine Weisungen auf dem Gebiet der Strafrechtspolitik erteilen kann, noch dadurch, dass sie der Leitung und Kontrolle ihrer Vorgesetzten, die selbst Mitglieder der Staatsanwaltschaft sind, unterliegen und verpflichtet sind, deren Anweisungen zu folgen.

Zweites Erfordernis: Rechtsbehelf muss eingelegt werden können

In einem zweiten Schritt hat der EuGH das in seiner jüngeren Rechtsprechung aufgestellte Erfordernis präzisiert, wonach gegen die Entscheidung, einen Europäischen Haftbefehl zu erlassen, im Ausstellungsmitgliedstaat ein Rechtsbehelf eingelegt werden können muss, der die Anforderungen an einen wirksamen gerichtlichen Rechtsschutz beachtet, wenn die Entscheidung von einer Behörde getroffen wird, die an der Rechtspflege mitwirkt, aber kein Gericht ist.

Rechtsschutzniveau muss wirksam garantiert werden

Erstens hob der EuGH hervor, dass das Vorliegen eines solchen Rechtsbehelfs keine Voraussetzung dafür darstellt, dass die Behörde als ausstellende Justizbehörde angesehen werden kann. Zweitens hat der Gerichtshof ausgeführt, dass es Sache der Mitgliedstaaten ist, darauf zu achten, dass ihre Rechtsordnungen das geforderte Rechtsschutzniveau mittels von ihnen umgesetzten Verfahrensregeln, die von System zu System unterschiedlich sein können, wirksam garantieren. Die Einrichtung eines gesonderten Rechtsbehelfs gegen die Entscheidung, einen Europäischen Haftbefehl zu erlassen, stelle nur eine Möglichkeit dar. Daher habe der Gerichtshof entschieden, dass die einem wirksamen gerichtlichen Rechtsschutz innewohnenden Anforderungen, die einer Person zugute kommen müssen, gegen die von einer anderen Behörde als einem Gericht ein Europäischer Haftbefehl zur Strafverfolgung erlassen wurde, erfüllt sind, wenn die Voraussetzungen für die Ausstellung dieses Haftbefehls und insbesondere seine Verhältnismäßigkeit im Ausstellungsmitgliedstaat gerichtlich geprüft werden.

Anforderungen von französischem und schwedischem System erfüllt

Im vorliegenden Fall würden das französische und das schwedische System diese Anforderungen erfüllen, da die nationalen Verfahrensregeln die Feststellung erlauben, dass die Verhältnismäßigkeit der Entscheidung der Staatsanwaltschaft, einen Europäischen Haftbefehl zu erlassen, Gegenstand einer gerichtlichen Kontrolle vor oder sogar fast zeitgleich zum Erlass dieser Entscheidung, aber auch danach sein kann. Insbesondere werde eine solche Prüfung unter anderem vorher von dem Gericht vorgenommen, das die nationale Entscheidung erlässt, auf die in der Folge der Europäische Haftbefehl gestützt werden kann.

Gerichtliche Kontrolle durch vollstreckbares Urteil

Für den Fall, dass der Europäische Haftbefehl von der Staatsanwaltschaft nicht zur Strafverfolgung, sondern zur Vollstreckung einer mit rechtskräftigem Urteil verhängten Freiheitsstrafe erlassen wird, hat der Gerichtshof entschieden, dass die Anforderungen, die sich aus einem wirksamen gerichtlichen Rechtsschutz ergeben, auch nicht verlangen, dass ein gesonderter Rechtsbehelf gegen die Entscheidung der Staatsanwaltschaft vorgesehen ist. Das belgische System, das einen solchen Rechtsbehelf nicht vorsehe, genüge daher auch diesen Anforderungen. Hierzu hob der EuGH hervor, dass, wenn der Europäische Haftbefehl auf die Vollstreckung einer Strafe gerichtet ist, die gerichtliche Kontrolle durch das vollstreckbare Urteil ausgeübt wird, auf das dieser Haftbefehl gestützt ist. Die Vollstreckungsbehörde könne nämlich annehmen, dass die Entscheidung, einen Europäischen Haftbefehl zu erlassen, in einem gerichtlichen Verfahren getroffen wird, in dem die gesuchte Person Garantien in Bezug auf den Schutz ihrer Grundrechte erhalten hat. Zudem ergebe sich die Verhältnismäßigkeit dieses Haftbefehls auch aus der Verurteilung, da der Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl vorsehe, dass diese in einer Strafe oder einer Maßregel der Sicherung, deren Maß mindestens vier Monate beträgt, bestehen muss.

EuGH, Urteil vom 12.12.2019 - C-566/19

Redaktion beck-aktuell, 13. Dezember 2019.