EuGH: Frankreich muss Paketexpressdienst Sernam gewährte staatliche Beihilfen zurückfordern

Frankreich muss einen Betrag von mehr als 642 Millionen Euro, der dem Paketexpressdienst Sernam an staatlichen Beihilfen gewährt wurde, zurückfordern. Dies hat der Gerichtshof der Europäischen Union mit Urteil vom 07.03.2018 entschieden. Die von der Kommission gesetzten Bedingungen für die Vereinbarkeit der Umstrukturierungsbeihilfe mit dem Gemeinsamen Markt seien nicht erfüllt worden (Az.: C-127/16).

Kommission formulierte Bedingungen für Zulässigkeit staatlicher Beihilfen

Im Jahr 2001 genehmigte die Kommission erstmals unter Bedingungen eine Umstrukturierungsbeihilfe in Höhe von 503 Millionen Euro zugunsten von Sernam, einem auf dem Gebiet der Kurierdienste und der Paket- und Palettenexpressbeförderung tätigen Unternehmen, das zu 100% der SNCF gehörte. Nachdem sie festgestellt hatte, dass die Bedingungen dieser Entscheidung nicht eingehalten worden waren und eine neue, nicht mit dem Gemeinsamen Markt vereinbare Beihilfe über 41 Millionen Euro gewährt worden war, erließ die Kommission im Jahr 2004 eine zweite Entscheidung (Sernam 2). Darin ordnete die Kommission die Einziehung der für mit dem Gemeinsamen Markt unvereinbar erklärten Beihilfe in Höhe von 41 Millionen Euro an und bestätigte, indem sie neue Bedingungen für die Vereinbarkeit auferlegte, dass die mit der ersten Entscheidung genehmigte Beihilfe in Höhe von 503 Millionen Euro mit dem Gemeinsamen Markt vereinbar war.

Verkaufsoption "en bloc" gewählt

Die zweite Entscheidung sah insbesondere eine Wahlmöglichkeit zwischen den beiden folgenden Bedingungen vor: Sernam sollte sich innerhalb einer bestimmten Frist aus dem Markt des Straßentransports zurückziehen. Alternativ sollte Sernam bis zum 30.06.2005 seine Aktiva "en bloc" im Rahmen eines transparenten und offenen Verfahrens zum Marktpreis an ein Unternehmen verkaufen, das keine rechtliche Verbindung mit der SNCF hat. Frankreich teilte der Kommission mit, die Option des Verkaufs der Aktiva von Sernam gewählt zu haben. Erwerber sei die Financière Sernam, eine von der ehemaligen Unternehmensleitung von Sernam gegründete Gesellschaft.

Kommission: Bedingungen der Verkaufsoption nicht eingehalten

Die mit mehreren Beschwerden befasste Kommission stellte in der Folge fest, dass die Bedingung in Bezug auf den Verkauf der Aktiva von Sernam "en bloc" nicht eingehalten worden und dass die unvereinbare Beihilfe in Höhe von 41 Millionen Euro nicht eingezogen worden sei. Sie zog hieraus den Schluss, dass die im Jahr 2004 unter Auflagen genehmigte Umstrukturierungsbeihilfe in Höhe von 503 Millionen Euro missbräuchlich verwendet worden und mit dem Binnenmarkt unvereinbar sei. Die Kommission erklärte ferner, dass die von der SNCF für die Zwecke der Durchführung des "Verkaufs der Aktiva en bloc" gewährten Maßnahmen, das heißt, die Aufstockung des Kapitals von Sernam durch die SNCF in Höhe von 57 Millionen Euro netto, der Forderungsverzicht der SNCF gegenüber Sernam in Höhe von 38,5 Millionen Euro und einige von der SNCF bei der Übertragung der Aktiva von Sernam auf die Financière Sernam gegebene Bürgschaften neue staatliche Beihilfen darstellten, die mit dem Binnenmarkt unvereinbar seien.

Kommission ordnete Rückforderung sämtlicher Beihilfen an

Die Kommission kam zu dem Ergebnis, dass sämtliche Sernam zugutegekommenen Beihilfen, also ein Gesamtbetrag von mehr als 642 Millionen Euro (ohne Zinsen), von der Financière Sernam und ihren Tochtergesellschaften wegen der wirtschaftlichen Kontinuität zwischen ihnen und Sernam zurückzuzahlen sei. Die SNCF erhob Klage beim Gericht der Europäischen Union, um diesen Beschluss für nichtig erklären zu lassen.

EuG bestätigte den Kommissionsbeschluss

Das EuG wies die Klage der SNCF ab. Es war der Ansicht, dass die Bedingung für die Vereinbarkeit der Umstrukturierungsbeihilfe in Bezug auf den Verkauf der Aktiva von Sernam "en bloc" nicht erfüllt worden sei, die Verbuchung der mit der Entscheidung Sernam 2 für mit dem Gemeinsamen Markt unvereinbar erklärten Beihilfe von 41 Millionen Euro auf der Passivseite bei der Abwicklung von Sernam nicht ausreichend sei, um die Wettbewerbsverzerrung zu beseitigen, und dass die Verpflichtung zur Rückzahlung der staatlichen Beihilfe in Höhe von 41 Millionen Euro aufgrund der durch die Sernam Xpress (eine 100 %ige Tochtergesellschaft von Sernam) vermittelten wirtschaftlichen Kontinuität zwischen Sernam und der Financière Sernam tatsächlich auf die Financière Sernam übertragen worden sei. Die SNCF legte Rechtsmittel ein.

EuGH bestätigt EuG-Urteil - Abbruch der wirtschaftlichen Tätigkeit von Sernam Ziel des Verkaufs

Der EuGH hat das Rechtsmittel der SNCF zurückgewiesen und das Urteil des Gerichts bestätigt. Die Entscheidung Sernam 2 habe bezweckt, dass sich Sernam aus dem durch Überkapazitäten gekennzeichneten Markt zurückziehe, um Wettbewerbsverzerrungen aufgrund der Gewährung der Umstrukturierungsbeihilfe von 503 Millionen Euro zu vermeiden, indem die Übernahme der Straßentransporttätigkeit von Sernam durch andere Unternehmen und die Diversifizierung der Aktivitäten von Sernam hin zum Frachtdienst mit der Bahn verlangt worden sei. Demnach habe das Gericht zutreffend festgestellt, dass der in der Entscheidung Sernam 2 vorgesehene Verkauf der Aktiva von Sernam "en bloc" auf den Abbruch der wirtschaftlichen Tätigkeit von Sernam und deren Verschwinden abzielte. Die in der Entscheidung Sernam 2 aufgestellte Bedingung des Verkaufs der Aktiva von Sernam "en bloc" sei dahin zu verstehen, dass die Passiva ausgeschlossen seien, so dass das Gericht zu Recht festgestellt habe, dass diese Bedingung nicht erfüllt worden sei, da sich der durchgeführte Verkauf auch auf nahezu die gesamten Passiva von Sernam bezogen habe.

Wirtschaftliche Kontinuität zwischen Sernam und Financière Sernam

Ebenso hätten das Gericht und die Kommission zutreffend festgestellt, dass über die Sernam Xpress eine wirtschaftliche Kontinuität zwischen Sernam und der Financière Sernam bestehe. Die Sernam Xpress sei Schuldnerin der – letztlich aufgrund der Fusion der Financière Sernam mit Sernam Xpress auf die Financière Sernam übergegangenen – Verpflichtung zur Rückzahlung der rechtswidrigen Beihilfe.

Kriterium privaten Investors auf Ausgleichsmaßnahme nicht anwendbar

Der EuGH hat auch bestätigt, dass das Kriterium des privaten Investors auf die Durchführung einer Ausgleichsmaßnahme nicht anwendbar sei. Der Gedanke eines Ausgleichs durch den in der Entscheidung Sernam 2 vorgesehenen Verkauf der Aktiva von Sernam "en bloc" habe nicht der Zielsetzung eines privaten Investors entsprochen, der seinen Profit zu maximieren oder wie hier seine Verluste zu minimieren sucht.

EuGH, Urteil vom 07.03.2018 - C-127/16

Redaktion beck-aktuell, 7. März 2018.