Westsahara größtenteils unter marokkanischer Kontrolle
Die Westsahara ist ein Gebiet im Nordwesten Afrikas, das im Norden an Marokko, im Nordosten an Algerien, im Osten und Süden an Mauretanien und im Westen an den Atlantik grenzt. Der größte Teil dieses Gebiets wird derzeit von Marokko kontrolliert, das es als integralen Bestandteil seines Staatsgebiets betrachtet, ein kleinerer, im Osten gelegener Teil vom Front Polisario, einer Organisation, die die Unabhängigkeit der Westsahara anstrebt.
Assoziationsabkommen zwischen Marokko und der EU
Die Europäische Union und Marokko haben ein Assoziationsabkommen (1996), ein partnerschaftliches Fischereiabkommen (2006) und ein Abkommen über Liberalisierung des Handels mit landwirtschaftlichen Erzeugnissen, landwirtschaftlichen Verarbeitungserzeugnissen, Fisch und Fischereierzeugnissen (2012) geschlossen. Das Fischereiabkommen wird ergänzt durch ein Protokoll zur Festlegung der Fangmöglichkeiten, das im Juli 2018 ausläuft.
EuGH entscheidet 2016: Bestimmte Handelsabkommen gelten nicht für Westsahara
Der Gerichtshof hat bereits mit Urteil vom 21.12.2016 (BeckRS 2016, 109817) in einem Rechtsstreit zwischen dem Front Polisario und dem Rat der Europäischen Union und der Europäischen Kommission im Rechtsmittelverfahren entschieden, dass die zwischen der EU und Marokko über eine Assoziation beziehungsweise die Liberalisierung des Handels geschlossenen Abkommen nach dem Völkerrecht dahin auszulegen sind, dass sie auf die Westsahara keine Anwendung finden. Über das Fischereiabkommen, das nicht Gegenstand des Rechtsstreits war, wurde nicht entschieden.
Non-Profit-Organisation will Anwendbarkeit des Fischereiabkommens klären
Die Western Sahara Campaign UK ist eine unabhängige Non-Profit-Organisation mit dem Ziel, die Anerkennung des Rechts des Volks der Westsahara auf Selbstbestimmung zu fördern. Sie machte vor dem High Court of Justice (England & Wales), Queen’s Bench Division (Administrative Court) (Hoher Gerichtshof [England und Wales], Abteilung Queen’s Bench [Kammer für Verwaltungsstreitsachen], Vereinigtes Königreich) geltend, dass das Fischereiabkommen und die Rechtsakte, mit denen dieses Abkommen genehmigt und durchgeführt worden sei, soweit sie auf die an das Gebiet der Westsahara angrenzenden Gewässer anwendbar seien, ungültig seien. Die Durchführung des Abkommens durch die britischen Behörden, insbesondere die Erteilung von Fanglizenzen für die betreffenden Gewässer, sei rechtswidrig.
High Court of Justice wendet sich an EuGH
Der High Court of Justice hat das Verfahren ausgesetzt. Er möchte wissen, ob das Fischereiabkommen unionsrechtlich gültig ist. Es ist das erste Mal, dass Gegenstand eines Vorabentscheidungsersuchens unmittelbar die Gültigkeit internationaler Übereinkünfte der Union ist.
EuGH: Fischereiabkommen gilt nur für "Gebiet Marokkos“
Der Gerichtshof stellte zunächst fest, dass das Fischereiabkommen für das "Gebiet Marokkos" gilt. Dieser Begriff sei dabei ebenso zu verstehen wie der Begriff "Gebiet des Königreichs Marokko" im Assoziationsabkommen. Mit Verweis auf ihr Urteil vom 21.12.2016 (BeckRS 2016, 109817) stellten die Luxemburger Richter noch mal klar, dass damit der räumliche Bereich gemeint sei, in dem das Königreich Marokko sämtliche Befugnisse ausübe, die souveränen Einheiten nach dem Völkerrecht zustehen, nicht aber andere Gebiete wie etwa das Gebiet der Westsahara. Die Einbeziehung des Gebiets der Westsahara in den Anwendungsbereich des Fischereiabkommens würde deshalb gegen einige Regeln des allgemeinen Völkerrechts verstoßen, die in den Beziehungen zwischen der Union und dem Königreich Marokko anwendbar sind, insbesondere gegen den Grundsatz der Selbstbestimmung.
An Westsahara angrenzende Gewässer nicht inbegriffen
Sodann wies der Gerichtshof darauf hin, dass das Fischereiabkommen für "die Gewässer unter der Hoheit oder der Gerichtsbarkeit“ des Königreichs Marokko gelte. Nach dem Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen dürfe demnach der Küstenstaat seine Souveränität oder Hoheitsbefugnisse aber lediglich über die angrenzenden Gewässer seines Küstenmeers beziehungsweise seiner ausschließlichen Wirtschaftszone ausüben. Da das Gebiet der Westsahara nicht zum Gebiet des Königreichs Marokko gehöre, seien die an es angrenzenden Gewässer nicht Teil der marokkanischen Fischereizone im Sinne des Fischereiabkommens, so der EuGH. Er untersuchte schließlich den räumlichen Anwendungsbereich des Protokolls zum Fischereiabkommen. Dieses enthalte zwar keine speziellen Bestimmungen hierzu. Jedoch werde in verschiedenen Bestimmungen des Protokolls der Ausdruck "marokkanische Fischereizone“ verwendet. Dieser Ausdruck stimme mit dem im Fischereiabkommen verwendeten Ausdruck überein, mit dem nach dem Abkommen die "Gewässer unter der Hoheit oder der Gerichtsbarkeit Marokkos“ gemeint sind, so der EuGH. Folglich fielen die an das Gebiet der Westsahara angrenzenden Gewässer nicht unter den Begriff "marokkanische Fischereizone" im Sinne des Protokolls.