EU-Staaten dürfen rituelle Schlachtung ohne Betäubung verbieten

EU-Staaten dürfen nach einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs auch für rituelle Schlachtungen eine Betäubung des Tieres vorschreiben. Derartige Vorschriften verstießen nicht grundsätzlich gegen das Recht auf Religionsfreiheit, befanden die Richter am 17.12.2020 in Luxemburg. Eine solche Vorgabe folge dem von der EU anerkannten Ziel, das Wohlergehen von Tieren zu fördern.

Belgische Region verbietet Schlachtungen ohne Betäubung

Verhandelt wurde ein politisch brisanter Rechtsstreit aus Belgien. Dort hatte die Region Flandern die Schlachtung ohne Betäubung 2017 aus Tierschutzgründen verboten. Jüdische und muslimische Verbände klagten dagegen. In beiden Religionen gibt es Vorschriften zum Schlachten ohne Betäubung, um Fleisch koscher beziehungsweise halal herzustellen. Gläubige sehen ihre Religionsfreiheit in Gefahr.

EU-Staaten dürfen Betäubungspflicht etablieren

Dem Urteil vom 17.12.2020 zufolge lässt das EU-Recht zwar in Ausnahmefällen und im Sinne der Religionsfreiheit die rituelle Schlachtung ohne vorherige Betäubung zu. Die EU-Staaten könnten aber dennoch selbst eine Verpflichtung zur Betäubung der Tiere vorsehen. Das verhandelte Dekret aus Flandern achte die Religionsfreiheit, da es rituelle Schlachtungen nicht als solche verbiete. Das Urteil kommt etwas überraschend, da der EuGH-Generalanwalt noch zu dem Schluss gekommen war, derartige Vorschriften widersprächen dem Recht auf Religionsfreiheit. 

Religionsvertreter kritisierten das Urteil scharf, Tierschützer begrüßten es

Der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster, sprach von einem Angriff auf die Religionsfreiheit. Man hoffe, dass die Regelung keine Nachahmer in Europa finde und andere EU-Staaten die religiöse Schlachtung weiterhin ermöglichten. Bini Guttmann, Präsident der Europäischen Union jüdischer Studenten, warnte gar, die Ermöglichung eines Schächt-Verbots "könnte jüdisches Leben, so wie wir es kennen, langfristig unmöglich machen". Der Deutsche Tierschutzbund begrüßte das Urteil dagegen: Es sei gut, dass daraus hervorgehe, dass es Wege gebe, sowohl der Religionsfreiheit als auch dem Tierschutz gerecht zu werden. Oftmals werde es so dargestellt, "dass beides nicht in Einklang zu bringen ist". In ihrem Statement verwiesen die Tierschützer auf Betäubungsarten, die bereits von vielen Muslimen akzeptiert würden.

Uneinheitliches Bild in Europa

Die Konferenz der Europäischen Rabbiner (CER) befürchtet nach dem Urteil einen "Dominoeffekt" und dass weitere Staaten weiterführende Verbote oder Einschränkungen erlassen, und so die Religionsausübung und insgesamt die Religionsfreiheit weiter erschweren. In Ländern wie Frankreich oder Spanien ist das Schächten der CER zufolge noch erlaubt. In anderen EU-Staaten wie Schweden oder Dänemark ist es hingegen verboten. In Deutschland können aus religiösen Gründen zwar Ausnahmen erteilt werden. Dem Zentralrat der Muslime in Deutschland (ZMD) zufolge seien solche Ausnahmeregelungen in einigen Teilen der Bundesrepublik aber schon nahezu unmöglich. Grund sei eine Zunahme an Auflagen, da hierzulande Tierschutz schon länger stärker berücksichtigt werde. Der ZMD-Vorsitzende Aiman Mazyek beobachtet deswegen, dass einerseits immer mehr geschächtetes Fleisch importiert und andererseits immer wieder inoffiziell geschächtet werde. "Und das wollen wir eigentlich nicht." Dass ein Urteil bewerte, was als Teil eines religiösen Ritus möglich ist oder nicht, sei "der falsche Weg", kritisierte Mazyek. Veränderungen sollten durch die Religionsgemeinschaften selbst und nicht von außen erfolgen. "Der Ritus ist jahrtausendalter Teil jüdischen und muslimischen Lebens."

EuGH, Urteil vom 17.12.2020 - C-336/19

Redaktion beck-aktuell, 17. Dezember 2020 (dpa).