EU-Kommission durfte Verpflichtungszusagen von Paramount nicht für bindend erklären

Der Europäische Gerichtshof hat am 09.12.2020 eine Entscheidung der Europäischen Kommission für nichtig erklärt, mit der Verpflichtungszusagen von Paramount, Geoblocking-Klauseln in Lizenzvereinbarungen mit Pay-TV-Sendern nicht mehr einzuhalten, zur Wahrung des Wettbewerbs auf den Märkten für bindend erklärt worden waren. Die Kommission habe damit die vertraglichen Rechte Dritter gegenüber Paramount ausgehöhlt.  

Lizenzvereinbarungen enthielten Geoblocking-Klauseln

Paramount schloss mit den größten Pay-TV-Sendern in der EU, unter anderem Sky und Groupe Canal +, Lizenzvereinbarungen über audiovisuelle Inhalte. Die Europäische Kommission unterzog die Vereinbarungen einer wettbewerblichen Prüfung und monierte zwei verbundene Klauseln in Lizenzvereinbarungen zwischen Paramount mit Sky. Mit der ersten Klausel wurde Sky untersagt, unaufgeforderten Anfragen nach Pay-TV-Diensten von Verbrauchern nachzukommen, die zwar im EWR, aber außerhalb des Vereinigten Königreichs und Irlands ihren Wohnsitz haben. Mit der zweiten Klausel wurde Paramount verpflichtet, in ihre Vereinbarungen mit Sendeunternehmen, die ihren Sitz innerhalb des EWR, aber außerhalb des Vereinigten Königreichs haben, in Bezug auf derartige Anfragen von Verbrauchern mit Wohnsitz im Vereinigten Königreich oder Irland ein entsprechendes Verbot aufzunehmen.

Kommission bewertete Klauseln vorläufig als wettbewerbswidrig

Die Kommission vertrat im Rahmen einer vorläufigen Beurteilung die Auffassung, dass die Lizenzvereinbarungen eine "bezweckte" Wettbewerbsbeschränkung im Sinne von Art. 101 AEUV und Art. 53 des EWR-Abkommens darstellen könnten. Die Klauseln bewirkten eine absolute territoriale Ausschließlichkeit, sodass die Vereinbarungen wieder zu einer Abschottung nationaler Märkte führten und mithin dem Ziel des Vertrags zuwiderliefen, einen einheitlichen Markt zu schaffen. Die Kommission teilte Groupe Canal + als interessierte Dritte diese Einschätzung sowie ein vorläufiges Ergebnis mit.

Kommission erklärte Nichteinhaltungs-Verpflichtungszusagen von Paramount für bindend

Um die wettbewerbsrechtlichen Bedenken der Kommission auszuräumen, bot Paramount an, Verpflichtungen einzugehen. Das Unternehmen erklärte sich bereit, die in den von ihm mit den Sendeunternehmen geschlossenen Lizenzvereinbarungen enthaltenen Klauseln, die zu einem absoluten Gebietsschutz der Sendeunternehmen führten, nicht mehr einzuhalten und auch keine Klage zu erheben, um deren Einhaltung durchzusetzen. Die Kommission nahm die Verpflichtungszusagen an und erklärte sie gemäß Art. 9 der Verordnung (EG) Nr. 1/2003 für bindend.

Groupe Canal + klagte gegen Kommissionbeschluss

Paramount teilte Groupe Canal + daraufhin den Inhalt der für bindend erklärten Verpflichtungszusagen mit. Die Filmproduktionsgesellschaft erläuterte insbesondere, dass sie beabsichtige, nicht mehr darauf zu achten, dass die Groupe Canal + auf dem französischen Markt eingeräumte absolute territoriale Ausschließlichkeit gewahrt werde. Groupe Canal + erhob beim Gericht der Europäischen Union Klage auf Nichtigerklärung des Kommissionsbeschlusses. Das Unternehmen war der Ansicht, dass die im Rahmen des Verfahrens zwischen der Kommission und Paramount eingegangenen Verpflichtungen ihm nicht entgegengehalten werden könnten. Das EuG wies die Klage ab. Dagegen legte Groupe Canal + ein Rechtsmittel ein.

EuGH: Auswirkungen auf Interessen Dritter nicht ausreichend beachtet

Der EuGH hat Urteil des EuG aufgehoben und den Kommissionsbeschluss für nichtig erklärt. Dem Gericht seien bei der Beurteilung, ob die Beeinträchtigung der Interessen Dritter durch den Kommissionsbeschluss verhältnismäßig sei, Rechtsfehler unterlaufen. Die Kommission müsse die angebotenen Verpflichtungszusagen im Rahmen von Art. 9 der Verordnung (EG) Nr. 1/2003 nicht nur auf ihre Eignung, die wettbewerbsrechtlichen Bedenken auszuräumen, prüfen, sondern auch die Auswirkungen auf die Interessen Dritter, deren Rechte nicht ausgehöhlt werden dürften. Wie das Gericht selbst festgestellt habe, sei es aber ein über die Bestimmungen von Art. 9 der Verordnung (EG) Nr. 1/2003 hinausgehender Eingriff in die Vertragsfreiheit eines Dritten, wenn die Kommission eine Verpflichtungszusage eines Wirtschaftsteilnehmers für bindend erklärt, die darin bestehe, bestimmte vertragliche Klauseln gegenüber einem an dem Verfahren nur als interessierter Dritter beteiligten Vertragspartner wie Groupe Canal + nicht anzuwenden, ohne dass dieser zugestimmt habe.

Verweis auf Rechtsschutz durch nationale Gerichte unzulässig

Das EuG habe solche Vertragspartner zur Durchsetzung ihrer vertraglichen Rechte nicht an die nationalen Gerichte verweisen dürfen. Dies würde gegen Art. 16 der Verordnung (EG) Nr. 1/2003 verstoßen, nach dem die nationalen Gerichte keine Entscheidungen erlassen dürften, die einer vorausgegangenen Entscheidung der Kommission in der betreffenden Sache zuwiderliefen. Denn eine Entscheidung eines nationalen Gerichts, mit der ein Wirtschaftsteilnehmer verpflichtet würde, Verpflichtungen, die mit einer Entscheidung der Kommission für bindend erklärt wurden, zuwiderzuhandeln, liefe der betreffenden Entscheidung der Kommission offensichtlich zuwider. Das Gericht habe auch dadurch einen Rechtsfehler begangen, dass es angenommen habe, dass ein nationales Gericht feststellen könne, dass die einschlägigen Klauseln nicht gegen Art. 101 AEUV verstießen, obwohl die Kommission das Verfahren noch gemäß Art. 9 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 1/2003 wieder aufnehmen und, wie sie es ursprünglich vorhatte, eine Entscheidung erlassen könne, mit der formell festgestellt werde, dass eine Zuwiderhandlung vorliegt.

Kommissionsbeschluss höhlt vertragliche Rechte Dritter aus

Laut EuGH war der Rechtsstreit auch zur Entscheidung reif. Er kommt schließlich zu dem Ergebnis, dass der Kommissionsbeschluss den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz verletzt. Denn die Kommission habe damit die vertraglichen Rechte Dritter, darunter Groupe Canal +, gegenüber Paramount ausgehöhlt. Denn die Verpflichtungen, die von den für bindend erklärten Verpflichtungszusagen betroffen seien und die territoriale Exklusivität der Sendeunternehmen garantieren sollen, stellten einen wesentlichen Bestandteil des wirtschaftlichen Gleichgewichts dar.

Keine Umgehung des Gesetzgebungsverfahrens zum Geoblocking

Mit weiteren Klagegründen drang Groupe Canal + nicht durch. So hatte das Unternehmen geltend gemacht, dass die Kommission dadurch ihr Ermessen missbraucht habe, dass sie mit dem Erlass des Beschlusses das Gesetzgebungsverfahren zum Geoblocking umgangen hat. Das Gericht habe dies zu Recht zurückgewiesen. Der EuGH billigt insbesondere die Feststellung des EuG, dass die Befugnisse, die der Kommission gemäß Art. 101 AEUV und der Verordnung (EG) Nr. 1/2003 zukommen, durch das Gesetzgebungsverfahren zum Geoblocking nicht berührt würden, solange dieses nicht zur Annahme eines Gesetzgebungsakts geführt habe. Im vorliegenden Fall stehe aber fest, dass der streitige Beschluss vor Abschluss des betreffenden Gesetzgebungsverfahrens aufgrund der Befugnisse, die der Kommission nach den genannten Vorschriften zukommen, erlassen wurde.

Klauseln konnten wettbewerbsrechtliche Bedenken hervorrufen

Weiter hatte Groupe Canal + vorgebracht, die einschlägigen Klauseln verstießen nicht gegen Art. 101 Abs. 1 AEUV, sodass kein Grund für die Bedenken bestanden habe, wegen derer der Beschluss erlassen worden sei. Auch dies Vorbringen habe das EuG zu Recht zurückgewiesen, so der EuGH. Die betreffenden Lizenzvereinbarungen enthielten Klauseln, die darauf gerichtet gewesen seien, die grenzüberschreitende Erbringung von Rundfunkdiensten in Bezug auf die betreffenden audiovisuellen Inhalte zu unterbinden, und gewährten den Sendeunternehmen zu diesem Zweck einen durch wechselseitige Verpflichtungen garantierten absoluten Gebietsschutz. Die Feststellung des Gerichts, dass die einschlägigen Klauseln, vorbehaltlich einer Entscheidung, mit der nach einer eingehenden Prüfung endgültig festgestellt werde, ob ein Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 AEUV vorliege oder nicht, geeignet seien, bei der Kommission wettbewerbsrechtliche Bedenken hervorzurufen, sei daher nicht zu beanstanden. Entsprechend weist der EuGH auch darauf hin, dass es sich bei der Beurteilung der Wettbewerbswidrigkeit des betreffenden Verhaltens im Rahmen einer Entscheidung gemäß Art. 9 der Verordnung (EG)  Nr. 1/2003 um eine vorläufige Beurteilung handele. Deshalb habe das Gericht auch zu Recht festgestellt, dass Art. 101 Abs. 3 AEUV nur dann zum Tragen komme, wenn zuvor ein Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 AEUV festgestellt worden ist, und daraus zu Recht gefolgert, dass es im Rahmen der Überprüfung der Rechtmäßigkeit einer solchen Entscheidung über Rügen, die sich auf die Tatbestandsmerkmale von Art. 101 Abs. 3 AEUV bezögen, nicht zu entscheiden hat.

Bedenken waren in Bezug auf gesamten EWR gerechtfertigt

Schließlich hat der EuGH die Annahme des EuG gebilligt, dass die Kommission wegen der einschlägigen Klauseln berechtigterweise in Bezug auf den gesamten Europäischen Wirtschaftsraum wettbewerbsrechtliche Bedenken gehabt habe und nicht verpflichtet gewesen sei, jeden einzelnen betroffenen nationalen Markt zu analysieren. Da die einschlägigen Klauseln eine Abschottung der nationalen Märkte bezweckten, habe das EuG zu Recht festgestellt, dass solche Vereinbarungen geeignet sein können, das reibungslose Funktionieren des Binnenmarkts zu gefährden, wodurch unabhängig von der Situation auf den nationalen Märkten eines der Hauptziele der Union konterkariert werde.

EuGH, Urteil vom 09.12.2020 - C-132/19

Redaktion beck-aktuell, 9. Dezember 2020.