Eine Frau wurde in Belgien wegen Menschenhandels und der Beihilfe zur illegalen Einwanderung in Abwesenheit zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt. Ein belgisches Gericht erließ zur Vollstreckung dieser Strafe einen Europäischen Haftbefehl gegen sie. Einige Monate später wurde sie in Italien schwanger und in Begleitung ihres fast drei Jahre alten Sohnes festgenommen.
Das mit der Vollstreckung des Haftbefehls befasste italienische Gericht erhielt vom belgischen Gericht keine Informationen darüber, wie in Belgien eine Strafe für Mütter, die mit ihren minderjährigen Kindern zusammenleben, vollstreckt wird. Es lehnte die Übergabe ab. Der mit der Sache befasste italienische Kassationsgerichtshof wollte vom EuGH wissen, ob und gegebenenfalls unter welchen Voraussetzungen das italienische Gericht die Vollstreckung des Haftbefehls hier ablehnen kann.
Laut EuGH darf ein Gericht die Vollstreckung eines Europäischen Haftbefehls nicht allein deshalb ablehnen, weil die gesuchte Person Mutter von Kleinkindern ist, die mit ihr zusammenleben. Eine Ablehnung komme nur ausnahmsweise unter zwei Voraussetzungen in Betracht: Erstens müsse aufgrund systemischer oder allgemeiner Mängel in Bezug auf die Haftbedingungen von Müttern von Kleinkindern und in Bezug auf die Bedingungen der Betreuung dieser Kinder im Ausstellungsmitgliedstaat des Europäischen Haftbefehls eine tatsächliche Gefahr bestehen, dass das Recht der Mutter auf Achtung ihres Privat- und Familienlebens und das Wohl ihrer Kinder verletzt werden. Zweitens müssten ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme vorliegen, dass die betreffenden Personen in Anbetracht ihrer persönlichen Situation aufgrund solcher Bedingungen einer solchen Gefahr ausgesetzt sein werden.