EuGH: Entschädigungslose Löschung ausländischer Nießbrauchsrechte in Ungarn unionsrechtswidrig

Die ungarische Regelung, mit der Personen, die nicht in einem nahen Angehörigenverhältnis zu den Eigentümern landwirtschaftlicher Flächen in Ungarn stehen, ihr Nießbrauchsrecht genommen werden kann, stellt eine mittelbar diskriminierende Beschränkung des freien Kapitalverkehrs dar. Dies hat der Gerichtshof der Europäischen Union mit Urteil vom 06.03.2018 entschieden (Az.: C-52/16 und C-113/16).

Ungarische Behörden löschten Nießbrauchsrechte ohne Entschädigung

Die Kläger des Ausgangsverfahrens – eine ungarische Gesellschaft und ein österreichischer Staatsangehöriger – sind Inhaber von Nießbrauchsrechten an landwirtschaftlichen Flächen in Ungarn. In den Jahren 2014 und 2015 löschten die ungarischen Behörden die Nießbrauchsrechte ohne Entschädigung und beriefen sich dabei auf neue Bestimmungen in den nationalen Rechtsvorschriften. Das ungarische Recht sieht nämlich vor, dass solche Rechte künftig nur Personen eingeräumt werden oder zustehen dürfen, die in einem nahen Angehörigenverhältnis zum Eigentümer der betreffenden landwirtschaftlichen Flächen stehen. Die Kläger sind der Auffassung, dass diese neuen Bestimmungen gegen den Grundsatz des freien Kapitalverkehrs verstoßen. Das mit dem Verfahren befasste Gericht fragte den Gerichtshof, ob die ungarische Regelung tatsächlich gegen das Unionsrecht verstößt

EuGH: Ungarisches Vorgehen nicht mit freiem Kapitalverkehr vereinbar

Der EuGH hat entschieden, dass die streitigen nationalen Vorschriften nicht mit dem Grundsatz des freien Kapitalverkehrs vereinbar sind. Die streitigen Rechtsvorschriften stellten eine Beschränkung des freien Kapitalverkehrs dar. Sie nähmen Personen aus anderen Mitgliedstaaten nämlich die Möglichkeit, ihre Nießbrauchsrechte weiterhin zu nutzen und sie auf andere Personen zu übertragen. Das Erfordernis eines nahen Angehörigenverhältnisses zwischen dem Inhaber des Nießbrauchsrechts und dem Eigentümer der Fläche könne zudem eine mittelbare Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit des Nießbrauchers oder der Herkunft des Kapitals darstellen.

Hoher Anteil ausländischer Nießbrauchsberechtigter

In diesem Zusammenhang hat der Gerichtshof hervorgehoben, dass ausländischen Staatsangehörigen, die Eigentum an landwirtschaftlichen Flächen in Ungarn erwerben wollten, über lange Zeit Beschränkungen auferlegt wurden oder dass sie gar keine Möglichkeit zum Eigentumserwerb gehabt hätten, sodass die einzige Möglichkeit für Staatsangehörige anderer Mitgliedstaaten, während dieser Zeit in landwirtschaftliche Flächen in Ungarn zu investieren, im Erwerb eines Nießbrauchsrechts bestanden habe. Somit sei der Anteil ausländischer Staatsangehöriger an den Inhabern von Nießbrauchsrechten höher als der Anteil ungarischer Staatsangehöriger, sodass die streitigen Rechtsvorschriften Erstere stärker beträfen.

Regelungen sind unverhältnismäßig

Das ungarische Ziel, die Anbauflächen den sie bewirtschaftenden Personen vorzubehalten und ihren Erwerb zu Spekulationszwecken verhindern zu wollen, könne durch die Beschränkungen nicht erreicht werden. Das verlangte Angehörigenverhältnis garantiere nicht, dass der Nießbraucher das betreffende Grundstück selbst bewirtschaften werde und dass er das Nießbrauchsrecht nicht zu Spekulationszwecken erworben habe. Ebenso könne eine Person ohne ein solches Angehörigenverhältnis die Fläche selbst bewirtschaften und keine Absicht haben, es zu Spekulationszwecken zu erwerben. Die streitige Beschränkung stehe außer Verhältnis zu den genannten Zielen, da zu ihrer Erreichung weniger einschneidende Maßnahmen hätten getroffen werden können.

Bestellung von Nießbrauchsrechten war nicht verboten

Zur Rechtfertigung der Beschränkung mit der Absicht des ungarischen Gesetzgebers, angebliche Verstöße ausländischer Erwerber von Nießbrauchsrechten gegen die nationalen Vorschriften über Devisenkontrollen zu ahnden, hat der Gerichtshof festgestellt, dass die fragliche Beschränkung dieses Ziel nicht zu verfolgen scheine und zudem über das zu seiner Erreichung erforderliche Maß hinausgehe. Was schließlich das Vorbringen Ungarns betreffe, wonach die fragliche Beschränkung aufgrund der Absicht gerechtfertigt sei, Praktiken zu bekämpfen, die darauf abzielten, durch den Abschluss verdeckter Verträge (“Deckmantelverträge“) das für ausländische Staatsangehörige und juristische Personen bestehende Verbot des Erwerbs von Eigentum an landwirtschaftlichen Flächen zu umgehen, hat der Gerichtshof festgestellt, dass die Bestellung von Nießbrauchsrechten nach ungarischem Recht nicht verboten war, als dies in den vorliegenden Fällen geschehen sei.

Allgemeinverdacht des Missbrauchs kann Regelung nicht rechtfertigen

Außerdem stelle die ungarische Regelung durch die Annahme, dass jede Person, die zu dem Eigentümer in keinem nahen Angehörigenverhältnis stehe, beim Erwerb des Nießbrauchsrechts missbräuchlich gehandelt habe, eine allgemeine Vermutung missbräuchlicher Praktiken auf. Die Aufstellung einer solchen Vermutung stehe aber außer Verhältnis zu dem Ziel, diese Praktiken zu bekämpfen.

EuGH, Urteil vom 06.03.2018 - C-52/16

Redaktion beck-aktuell, 6. März 2018.

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