Garantie bis 100.000 Euro pro Anleger gewährt
Im November 2011 gewährte der belgische Staat den rund 800.000 privaten Anteilseignern der drei ARCO-Finanzgenossenschaften (Arcopar, Arcofin und Arcoplus) den gleichen Schutz wie für Spareinlagen oder bestimmte Lebensversicherungen, das heißt bis zu 100.000 Euro pro Anleger. Die ARCO-Gruppe, eine der Hauptaktionärinnen der französisch-belgischen Dexia-Bank, wurde so vor einer drohenden Flucht ihrer privaten Anleger aus den drei Finanzgenossenschaften bewahrt. Gleichzeitig wurde ARCO damit in die Lage versetzt, an der Rekapitalisierung von Dexia mitzuwirken. Diese war im Zuge der 2008 ausgebrochenen weltweiten Finanzkrise in schwere Turbulenzen geraten. Seit Ende 2011 befinden sich die drei Finanzgenossenschaften in Abwicklung.
EU-Kommission: "ARCO-Garantie" rechtswidrige staatliche Beihilfe
2014 stufte die Kommission diese "ARCO-Garantie" als rechtswidrige (weil nicht rechtzeitig angemeldete) und mit dem Binnenmarkt unvereinbare staatliche Beihilfe ein. Sie verpflichtete Belgien daher, die damit verbundenen Vorteile zurückzufordern sowie keinerlei Zahlungen auf die Garantie hin zu leisten. Gegen diese Kommissionsentscheidung haben die drei Finanzgenossenschaften sowie Belgien Klage vor dem Gericht der Europäischen Union erhoben.
EuGH soll Vereinbarkeit der Garantieregelung mit EU-Recht prüfen
Diese Verfahren sind jedoch ausgesetzt, bis der EuGH im vorliegenden Verfahren die Fragen des belgischen Verfassungsgerichtshofs beantwortet hat. Der belgische Verfassungsgerichtshof, dem der Raad van State (Staatsrat) – der mit Klagen einer Reihe privater und institutioneller Anleger befasst ist, die nicht unter die ARCO-Garantie fallen – mehrere Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt hat, hat die Verfassungsmäßigkeit des belgischen Nationalbankgesetzes zu prüfen, soweit es derartige Garantien für Anteile an bestimmten zugelassenen Finanzgenossenschaften vorsieht. Vorab möchte er vom Gerichtshof wissen, ob die Garantieregelung gegen das Unionsrecht, namentlich den allgemeinen Gleichheitsgrundsatz und die Richtlinie über Einlagensicherungssysteme (RL 94/19/EG), verstößt.
Anteile an im Finanzsektor tätigen Genossenschaften keine "Einlage"
Der EuGH weist zunächst darauf hin, dass die Mitgliedstaaten gemäß der Richtlinie in ihrem jeweiligen Hoheitsgebiet für die Errichtung und amtliche Anerkennung eines oder mehrerer Einlagensicherungssysteme sorgen. Unter einer "Einlage" sei zum einen ein Guthaben zu verstehen, das sich aus auf einem Konto verbliebenen Beträgen oder aus Zwischenpositionen im Rahmen von normalen Bankgeschäften ergibt und von einem Kreditinstitut nach den geltenden gesetzlichen und vertraglichen Bedingungen zurückzuzahlen ist. Zum anderen seien darunter Forderungen zu verstehen, die dieses Kreditinstitut durch Ausstellung einer Urkunde verbrieft hat. Aus den dem Gerichtshof vorliegenden Akten gehe jedoch hervor, dass Anteile an Gesellschaften wie die in Rede stehenden Anteile an im Finanzsektor tätigen zugelassenen Genossenschaften nicht unter diese Definition fallen. Es sei nämlich offensichtlich, dass es sich bei solchen Anteilen im Kern um eine Beteiligung am Eigenkapital einer Gesellschaft handelt, während sich Einlagen im Sinne der Richtlinie dadurch auszeichnen, dass sie zum Fremdkapital eines Kreditinstituts gehören. Der Erwerb solcher Anteile sei somit eher mit dem Erwerb von Aktien – für die die Richtlinie keinerlei Absicherung vorsieht – als mit der Einzahlung auf ein Bankkonto vergleichbar.
Persönlicher Anwendungsbereich der Richtlinie für Genossenschaften nicht eröffnet
Des Weiteren fielen die im Finanzsektor tätigen zugelassenen Genossenschaften nicht in den persönlichen Anwendungsbereich der Richtlinie. Die Tätigkeit dieser Gesellschaften bestehe nämlich nicht darin, Kredite für eigene Rechnung zu gewähren. Es sei auch nicht ersichtlich, dass diese Gesellschaften Einlagen des Publikums entgegennähmen oder in der für Banken charakteristischen Weise regelmäßig Kredite für eigene Rechnung vergäben. Die Richtlinie erlege den Mitgliedstaaten somit nicht die Verpflichtung auf, eine Garantieregelung für Anteile an im Finanzsektor tätigen zugelassenen Genossenschaften wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende zu erlassen.
Ausweitung der Regelung auf Genossenschaftsanteile kann dennoch zulässig sein
Der Gerichtshof stellt gleichwohl fest, dass der Umstand, dass eine Einlagensicherungsregelung auf Genossenschaftsanteile ausgeweitet wird, als solcher nicht mit der Richtlinie unvereinbar erscheint. Eine solche Ausweitung dürfe jedoch nicht die praktische Wirksamkeit der Einlagensicherungsregelung beeinträchtigen, die einzuführen die genannte Richtlinie vorschreibt. Je höher nämlich die abzusichernden Risiken seien, desto mehr werde die Einlagensicherung verwässert.
Praktische Wirksamkeit der Einlagensicherungsregelung darf nicht beeinträchtigt werden
Es sei Sache des Verfassungsgerichtshofs, zu prüfen, ob der Erlass einer solchen Garantieregelung die praktische Wirksamkeit der Einlagensicherungsregelung beeinträchtigen kann. Der Verfassungsgerichtshof habe insoweit unter anderem zum einen den Umstand zu berücksichtigen, dass der Erlass einer solchen Regelung für Genossenschaftsanteile im vorliegenden Fall dazu führt, dass eine große Anzahl von Kleinanlegern in das belgische Einlagensicherungssystem einbezogen werden, und zum anderen, dass die Gesellschaften der ARCO-Gruppe, die dieser Garantieregelung kurz vor der Geltendmachung der danach vorgesehenen Garantie beigetreten sind, in der Vergangenheit nicht zu deren Finanzierung beigetragen haben. Außerdem müsse eine solche Ausweitung mit den Bestimmungen des AEUV, namentlich mit denjenigen über staatliche Beihilfen, in Einklang stehen.
EuGH bestätigt Einstufung der "ARCO-Garantie" als staatliche Beihilfe
Was den Kommissionsbeschluss betrifft, mit dem die "ARCO-Garantie" als rechtswidrige (weil nicht rechtzeitig angemeldete) und mit dem Binnenmarkt unvereinbare staatliche Beihilfe eingestuft wurde, ist der Gerichtshof der Auffassung, dass die Kommission diese Garantie zu Recht als "staatliche Beihilfe" einstufte. Der Beschluss sei auch hinreichend begründet. Der Gerichtshof stellt daher fest, dass seine Prüfung nichts ergeben hat, was die Gültigkeit dieses Beschlusses beeinträchtigen könnte. Außerdem habe die Kommission in ihrem Beschluss berechtigterweise den Schluss ziehen dürfen, dass die in Rede stehende Garantieregelung von Belgien rechtswidrig durchgeführt wurde.