Dublin-III: Keine Fristunterbrechung durch Aussetzung einer Überstellung wegen Corona

Die coronabedingte Aussetzung der Überstellung eines Asylbewerbers an den zuständigen Mitgliedstaat unterbricht nicht die sechsmonatige Überstellungsfrist nach der Dublin-III-Verordnung. Dies hat der Europäische Gerichtshof entschieden. Nach Ablauf der Frist sei dann der der ersuchende Mitgliedstaat für die Prüfung des Asylantrags zuständig.

Behörden setzten Dublin-III-Überstellungen wegen Corona aus

Die drei Ausgangskläger waren über Italien nach Deutschland eingereist und stellten hier 2019 Asylanträge. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge ersuchte die italienischen Behörden nach der Dublin-III-Verordnung um deren Übernahme. Anschließend lehnte das Bundesamt die Asylanträge als unzulässig ab und ordnete die Abschiebung nach Italien an. Im Frühjahr 2020 setzte das Bundesamt die Abschiebungen bis auf weiteres aus, da wegen Corona keine Dublin-III-Überstellungen mehr möglich waren. Im Sommer 2020 hoben das VG Aachen bzw. VG Potsdam die Ablehnungsbescheide auf. Die Zuständigkeit für die Prüfung der Asylanträge sei aufgrund des Ablaufs der sechsmonatigen Überstellungsfrist auf Deutschland übergegangen. Die Aussetzungsentscheidungen hätten die Frist nicht unterbrochen. Das Bundesamt legte Sprungrevision ein. Das BVerwG rief den EuGH zur Klärung der Frage einer Fristunterbrechung durch die Aussetzungen an.

EuGH: Coronabedingte Aussetzung unterbricht Überstellungsfrist nicht

Laut EuGH unterbricht die coronabedingte, widerrufliche Aussetzung einer Überstellung die sechsmonatige Überstellungsfrist nicht. Eine Aussetzung der Überstellung dürften die Behörden nur dann anordnen, wenn es zur Gewährleistung eines wirksamen gerichtlichen Rechtsschutzes erforderlich ist, den Aufenthalt bis zum Erlass einer abschließenden Entscheidung über den Rechtsbehelf zu erlauben. Hingegen rechtfertige die praktische Unmöglichkeit einer Überstellung keine Unterbrechung der Überstellungsfrist.

Aussetzungen nur zur Gewährleistung eines wirksamen gerichtlichen Rechtsschutzes

Gewähre die zuständige Behörde nach Art. 27 Abs. 4 der Dublin-III-Verordnung die aufschiebende Wirkung eines Rechtsbehelfs gegen eine Überstellungsentscheidung, beginne die Überstellungsfrist ab der abschließenden Entscheidung über diesen Rechtsbehelf zu laufen, vorausgesetzt die behördliche Aussetzungsentscheidung halte sich in den Grenzen des Anwendungsbereichs der Regelung. Dem EuGH zufolge dürfen die Behörden eine Aussetzung der Überstellung aber nur dann anordnen, wenn es zur Gewährleistung eines wirksamen gerichtlichen Rechtsschutzes erforderlich ist, den Aufenthalt bis zum Erlass einer abschließenden Entscheidung über den Rechtsbehelf zu erlauben. Die Überstellungsfrist solle gewährleisten, dass die betroffene Person tatsächlich so rasch wie möglich an den für die Prüfung ihres Asylantrags zuständigen Mitgliedstaat überstellt wird. Eine Aussetzung aus einem Grund, der nicht in unmittelbarem Zusammenhang mit dem gerichtlichen Rechtsschutz der betroffenen Person stehe, bringe die Gefahr mit sich, der Überstellungsfrist jegliche Wirksamkeit zu nehmen, die sich aus der Dublin-III-Verordnung ergebende Aufteilung der Zuständigkeiten zwischen den Mitgliedstaaten zu verändern und die Bearbeitung von Anträgen auf internationalen Schutz dauerhaft in die Länge zu ziehen.

EuGH, Urteil vom 22.09.2022 - C-245/21

Redaktion beck-aktuell, 22. September 2022.