Drittstaat-Familienangehöriger eines Unionsbürgers kann langfristige Aufenthaltsberechtigung erlangen

Ein Drittstaatsangehöriger, der als Familienangehöriger eines Unionsbürgers über einen Aufenthaltstitel verfügt, kann die Rechtsstellung eines langfristig Aufenthaltsberechtigten erlangen, wenn er die im Unionsrecht vorgesehenen Voraussetzungen erfüllt. Dies hat der Europäische Gerichtshof im Fall einer ghanaischen Mutter eines Kindes mit niederländischer Staatsangehörigkeit entschieden.

Langfristige Aufenthaltsberechtigung auch für drittstaatsangehörige Familienangehörige eines Unionsbürgers?

Eine Ghanaerin hat einen niederländischen Sohn und erhielt deshalb 2013 als Familienangehörige eines Unionsbürgers aufgrund des bestehenden Abhängigkeitsverhältnisses nach Art. 20 AEUV eine Aufenthaltsgenehmigung für die Niederlande. 2019 beantragte sie nach den niederländischen Vorschriften zur Umsetzung der Daueraufenthaltsrichtlinie 2003/109/EG eine langfristige Aufenthaltsberechtigung. Die niederländischen Behörden lehnten ihren Antrag jedoch ab. Das Aufenthaltsrecht als Familienangehöriger eines Unionsbürgers sei nur vorübergehender Natur und daher vom Anwendungsbereich dieser Richtlinie ausgeschlossen. Die Frau klagte dagegen. Das niederländische Gericht rief den EuGH an, um klären zu lassen, ob die Aufenthaltsgenehmigung als Familienangehöriger eines Unionsbürgers für die Erlangung der Rechtsstellung eines langfristig Aufenthaltsberechtigten ausgeschlossen ist.

EuGH: Ausschluss nur bei zeitlich streng begrenzten Aufenthalten

Laut EuGH ist der Aufenthalt als Familienmitglied eines Unionsbürgers nicht vom Anwendungsbereich der Richtlinie ausgeschlossen. Die Richtlinie schließe Drittstaatsangehörige von ihrem Anwendungsbereich aus, die sich ausschließlich vorübergehend etwa als Au-pair oder Saisonarbeitnehmer oder als entsendete Arbeitnehmer aufhalten oder deren Aufenthaltsgenehmigung förmlich begrenzt worden sei. Solche Aufenthalte hätten als objektives Merkmal gemeinsam, dass sie zeitlich streng begrenzt und auf kurze Dauer angelegt sind, sodass sie es nicht ermöglichen, dass ein Drittstaatsangehöriger langfristig im Hoheitsgebiet des betreffenden Mitgliedstaats ansässig wird. Im vorliegenden Fall sei das Aufenthaltsrecht einer Drittstaatsangehörigen in ihrer Eigenschaft als Familienangehörige eines Unionsbürgers gerechtfertigt, wenn der Aufenthalt erforderlich sei, damit dieser Unionsbürger den Kernbestand der Rechte, die ihm dieser Status verleihe, wirksam in Anspruch nehmen könne, solange das Abhängigkeitsverhältnis zu dieser Drittstaatsangehörigen fortbestehe. Grundsätzlich sei ein solches Abhängigkeitsverhältnis nicht auf kurze Dauer angelegt, sondern könne sich vielmehr über einen beträchtlichen Zeitraum erstrecken.

Integrationsziel der Richtlinie stützt Auslegung

Das vorrangige Ziel der Richtlinie bestehe in der Integration von Drittstaatsangehörigen, die in den Mitgliedstaaten langfristig ansässig seien. Eine solche Integration ergebe sich vor allem aus der Dauer des ununterbrochenen rechtmäßigen Aufenthalts von fünf Jahren. Im Hinblick auf das Abhängigkeitsverhältnis zwischen einem Drittstaatsangehörigen und seinem Kind, das Unionsbürger sei, könne die Dauer des Aufenthalts dieses Drittstaatsangehörigen im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten jedoch deutlich über diese Dauer hinausgehen. Ferner müsse einem Drittstaatsangehörigen, der ein solches Aufenthaltsrecht genieße, eine Arbeitserlaubnis erteilt werden, damit er für den Unterhalt seines Kindes, das Unionsbürger sei, aufkommen könne, da diesem andernfalls der tatsächliche Genuss des Kernbestands der Rechte, die ihm dieser Status verleihe, verwehrt würde. Die Ausübung einer Beschäftigung im Hoheitsgebiet des betreffenden Mitgliedstaats über einen längeren Zeitraum könne daher die Verwurzelung dieses Staatsangehörigen noch stärker festigen.

Voraussetzungen für langfristige Aufenthaltsberechtigung müssen erfüllt sein

Ein Drittstaatsangehöriger, der ein Aufenthaltsrecht als Familienangehöriger eines Unionsbürgers genieße, müsse die Voraussetzungen der Richtlinie erfüllen, um die Rechtsstellung eines langfristig Aufenthaltsberechtigten zu erlangen. Über einen fünf Jahre langen ununterbrochenen rechtmäßigen Aufenthalt im Hoheitsgebiet des betreffenden Mitgliedstaats unmittelbar vor der Stellung des entsprechenden Antrags hinaus müsse er daher den Nachweis erbringen, dass er für sich und seine unterhaltsberechtigten Familienangehörigen über feste und regelmäßige Einkünfte, die ohne Inanspruchnahme der Sozialhilfeleistungen des betreffenden Mitgliedstaats für seinen eigenen Lebensunterhalt und den seiner Familienangehörigen ausreichten, sowie über eine Krankenversicherung verfüge, die in diesem Mitgliedstaat sämtliche Risiken abdecke, die in der Regel auch für die eigenen Staatsangehörigen abgedeckt seien. Ebenso könne der betreffende Mitgliedstaat von Drittstaatsangehörigen verlangen, dass sie die Integrationsanforderungen erfüllen, die sein nationales Recht vorsehe.

EuGH, Urteil vom 07.09.2022 - C-624/20

Redaktion beck-aktuell, 9. September 2022.