Deutschland darf bereits in Slowenien verurteilten Serben nicht an USA ausliefern

Ein EU-Staat darf einen Drittstaatsangehörigen nicht an einen anderen Drittstaat ausliefern, wenn der Drittstaatsangehörige in einem anderen EU-Staat wegen der Taten aus dem Auslieferungsersuchen bereits rechtskräftig verurteilt wurde und die Strafe verbüßt hat. Dies hat der Europäische Gerichtshof in einem Eilvorabentscheidungsverfahren entschieden. Das gelte auch, wenn ein Auslieferungsabkommen die Reichweite des ne bis in idem-Grundsatzes auf die im ersuchten Staat ergangenen Urteile beschränkt.

Auslieferung eines Serben an die USA trotz rechtskräftiger Verurteilung in Slowenien?

Die USA begehren von Deutschland die Auslieferung eines Serben, um ihn strafrechtlich verfolgen zu können. Dem Serben wird "Verabredung zur Beteiligung an kriminell beeinflussten korrupten Organisationen und Verabredung zur Begehung von Bankbetrug und Betrug mittels Fernmeldeeinrichtungen" vorgeworfen. Er war wegen der Taten aber bereits im EU-Staat Slowenien rechtskräftig verurteilt worden und hat seine Strafe verbüßt. Das Oberlandesgericht München, das über die Auslieferung entscheiden muss, neigte zu der Ansicht, dass Deutschland aufgrund eines Auslieferungsabkommens mit den USA völkerrechtlich dazu verpflichtet sei. Das Abkommen verbietet die Auslieferung aufgrund des Doppelbestrafungsverbots (ne bis in idem) nur dann, wenn der Verfolgte im ersuchten Staat bereits rechtskräftig verurteilt wurde. Das OLG rief daher den EuGH an, um klären zu lassen, ob das Verbot der Doppelbestrafung im Ausgangsfall gilt.

EuGH: Ne bis in idem-Grundsatz steht Auslieferung entgegen

Laut EuGH darf ein EU-Staat einen Drittstaatsangehörigen nicht an einen anderen Drittstaat ausliefern, wenn der EU-Drittstaatsangehörige wegen der Taten aus dem Auslieferungsersuchen bereits in einem anderen EU-Staat rechtskräftig verurteilt wurde und die dort verhängte Strafe verbüßt hat. Dem stehe der durch das Übereinkommen zur Durchführung des Schengen-Übereinkommens (SDÜ) und die EU-Grundrechtecharta verbürgte ne bis in idem-Grundsatz entgegen. Dass das Auslieferungsersuchen auf einem bilateralen Auslieferungsvertrag beruhe, der die Reichweite des Doppelbestrafungsverbots auf im ersuchten Mitgliedstaat ergangene Urteile beschränke, ändere daran nichts. Der EuGH betont, dass der im SDÜ vorgesehene ne bis in idem-Grundsatz im Schengen-Gebiet auch für Drittstaatsangehörige gelte, und zwar unabhängig davon, ob ihr Aufenthalt rechtmäßig sei oder nicht. Eine andere Lösung würde laut EuGH im Verhältnis zwischen den Mitgliedstaaten die Grundlage des Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts als Raum ohne Binnengrenzen in Frage stellen sowie gegen die Grundsätze des gegenseitigen Vertrauens und der gegenseitigen Anerkennung von Gerichtsentscheidungen in Strafsachen verstoßen, auf denen der durch dieses Übereinkommen verbürgte Grundsatz ne bis in idem beruhe.

Beschränkung in Auslieferungsabkommen darf nicht angewendet werden

Hinsichtlich der Beschränkung der Reichweite des ne bis in idem-Grundsatzes im Auslieferungsabkommen zwischen Deutschland und den USA weist der EuGH darauf hin, dass die nationalen Gerichte angesichts der unmittelbaren Wirkung der Bestimmungen der Charta und des SDÜ jede mit dem Grundsatz unvereinbare Vertragsbestimmung aus eigener Entscheidungsbefugnis unangewendet lassen müssen.

EuGH, Urteil vom 28.10.2022 - C-435/22

Redaktion beck-aktuell, 28. Oktober 2022.