Staats­an­walt­schaf­ten kön­nen trotz Wei­sungs­recht der Exe­ku­ti­ve EU-Er­mitt­lungs­an­ord­nung er­las­sen

An­ders als beim Eu­ro­päi­schen Haft­be­fehl ist die deut­sche Staats­an­walt­schaft durch das Wei­sungs­recht der Exe­ku­ti­ve nicht ge­hin­dert, eine EU-Er­mitt­lungs­an­ord­nung zu er­las­sen. Dies hat der Eu­ro­päi­sche Ge­richts­hof am 08.12.2020 ent­schie­den. Die Grund­rech­te Be­trof­fe­ner seien bei Er­lass und Voll­stre­ckung einer EU-Er­mitt­lungs­an­ord­nung hin­rei­chend ge­schützt.

Staats­an­walt­schaft Ham­burg rich­tet EU-Er­mitt­lungs­an­ord­nung an Staats­an­walt­schaft Wien

Die Staats­an­walt­schaft Ham­burg er­öff­ne­te gegen A. und wei­te­re un­be­kann­te Per­so­nen ein Er­mitt­lungs­ver­fah­ren wegen Be­trugs. Im Rah­men der Auf­klä­rung er­ließ die Staats­an­walt­schaft Ham­burg im Mai 2019 eine Eu­ro­päi­sche Er­mitt­lungs­an­ord­nung, die sie der Staats­an­walt­schaft Wien über­mit­tel­te und mit der sie diese um Über­mitt­lung von Un­ter­la­gen zu einem Konto in Form von Ko­pi­en für den be­tref­fen­den Zeit­raum er­such­te.

Staats­an­walt­schaft Ham­burg trotz Wei­sungs­rechts des Jus­tiz­se­na­tors an­ord­nungs­be­fugt?

Nach der ös­ter­rei­chi­schen Straf­pro­zess­ord­nung darf die ös­ter­rei­chi­sche Staats­an­walt­schaft eine sol­che Er­mitt­lungs­maß­nah­me aber nicht ohne eine vor­he­ri­ge ge­richt­li­che Be­wil­li­gung an­ord­nen. Daher be­an­trag­te die Staats­an­walt­schaft Wien Ende Mai 2019 beim Lan­des­ge­richt für Straf­sa­chen Wien die Be­wil­li­gung die­ser Er­mitt­lungs­maß­nah­me. Mit Blick auf das Wei­sungs­recht des Ham­bur­ger Jus­tiz­se­na­tors ge­gen­über der Staats­an­walt­schaft Ham­burg und die EuGH-Recht­spre­chung zum EU-Haft­be­fehl (BeckRS 2019, 9722) frag­te sich das Ge­richt, ob diese EU-Er­mitt­lungs­an­ord­nung von den ös­ter­rei­chi­schen Be­hör­den voll­streckt wer­den muss. Es woll­te vom EuGH wis­sen, ob die Staats­an­walt­schaft Ham­burg trotz Wei­sungs­rechts der Exe­ku­ti­ve als zu­stän­di­ge "Jus­tiz­be­hör­de" im Sinn der Richt­li­nie über die Eu­ro­päi­sche Er­mitt­lungs­an­ord­nung an­zu­se­hen ist.

EuGH: Deut­sche Staats­an­walt­schaft  ist "Jus­tiz­be­hör­de" im Sinn der Richt­li­nie über die EU-Er­mitt­lungs­an­ord­nung

Laut EuGH er­fas­sen die Be­grif­fe "Jus­tiz­be­hör­de" und "An­ord­nungs­be­hör­de'" im Sinn der Richt­li­nie über die Eu­ro­päi­sche Er­mitt­lungs­an­ord­nung den Staats­an­walt oder ganz all­ge­mein die Staats­an­walt­schaft eines Mit­glied­staats. Dies gelte auch dann, wenn die Exe­ku­ti­ve ge­gen­über der Staats­an­walt­schaft ein Wei­sungs­recht hat und des­halb die Ge­fahr exe­ku­ti­ver Ein­zel­wei­sun­gen beim Er­lass einer EU-Er­mitt­lungs­an­ord­nung be­steht. An­ders als in den Be­stim­mun­gen des Rah­men­be­schlus­ses über den EU-Haft­be­fehl, der auf die "aus­stel­len­de Jus­tiz­be­hör­de" Bezug nehme, ohne die von die­sem Be­griff er­fass­ten Be­hör­den ge­nau­er zu be­zeich­nen, zähle der Staats­an­walt in der Richt­li­nie über die EU-Er­mitt­lungs­an­ord­nung aus­drück­lich zu den Be­hör­den, die wie der Rich­ter, das Ge­richt oder der Er­mitt­lungs­rich­ter als "An­ord­nungs­be­hör­de" ver­stan­den wer­den. Fer­ner zähle der Staats­an­walt in die­ser Richt­li­nie zu den "Jus­tiz­be­hör­den", die be­fugt seien, eine EU-Er­mitt­lungs­an­ord­nung vor ihrer Über­mitt­lung an die Voll­stre­ckungs­be­hör­de zu va­li­die­ren, wenn eine an­de­re An­ord­nungs­be­hör­de als ein Rich­ter, ein Ge­richt, ein Er­mitt­lungs­rich­ter oder ein Staats­an­walt, der/das in dem be­tref­fen­den Fall zu­stän­dig sei, diese Er­mitt­lungs­an­ord­nung er­las­sen hat. 

Grund­rechts­schutz ge­währ­leis­tet

Die Ein­stu­fung des Staats­an­walts als "An­ord­nungs­be­hör­de" oder "Jus­tiz­be­hör­de" sei nach die­ser Richt­li­nie nicht davon ab­hän­gig, dass kein recht­li­ches Un­ter­ord­nungs­ver­hält­nis zur Exe­ku­ti­ve des Mit­glied­staats, dem er an­ge­hö­re, be­steht. Auch ent­hal­te die Richt­li­nie über die EU-Er­mitt­lungs­an­ord­nung so­wohl im Sta­di­um des Er­las­ses oder der Va­li­die­rung als auch im Sta­di­um der Voll­stre­ckung der EU-Er­mitt­lungs­an­ord­nung eine Reihe von Ga­ran­ti­en, die den Schutz der Grund­rech­te der be­trof­fe­nen Per­son si­cher­stel­len kön­nen.

Recht­spre­chung zum EU-Haft­be­fehl nicht auf EU-Er­mitt­lungs­an­ord­nung an­wend­bar

Schlie­ß­lich ver­folg­ten eine EU-Er­mitt­lungs­an­ord­nung und ein EU-Haft­be­fehl un­ter­schied­li­che Ziele, so der EuGH wei­ter. Denn wäh­rend der EU-Haft­be­fehl auf die Fest­nah­me und Über­ga­be einer ge­such­ten Per­son zur Straf­ver­fol­gung oder zur Voll­stre­ckung einer Frei­heits­stra­fe oder einer frei­heits­ent­zie­hen­den Ma­ß­re­gel der Si­che­rung ge­rich­tet sei, ziele die EU-Er­mitt­lungs­an­ord­nung auf die Durch­füh­rung einer oder meh­re­rer spe­zi­fi­scher Er­mitt­lungs­maß­nah­men zur Er­lan­gung von Be­wei­sen. Auch wenn ei­ni­ge die­ser Maß­nah­men ein­griffs­in­ten­siv sein könn­ten, sei die EU-Er­mitt­lungs­an­ord­nung aber an­ders als der EU-Haft­be­fehl nicht ge­eig­net, das Frei­heits­recht der be­trof­fe­nen Per­son zu be­ein­träch­ti­gen. In An­be­tracht die­ser Un­ter­schie­de zwi­schen dem Rah­men­be­schluss über den EU-Haft­be­fehl und der Richt­li­nie über die EU-Er­mitt­lungs­an­ord­nung sei die Aus­le­gung in den jüngst er­gan­ge­nen Ur­tei­len zum EU-Haft­be­fehl nicht an­wend­bar, wo­nach einem Wei­sungs­recht der Exe­ku­ti­ve un­ter­lie­gen­de Staats­an­wäl­te nicht vom Be­griff "aus­stel­len­de Jus­tiz­be­hör­de" im Sinn die­ses Rah­men­be­schlus­ses er­fasst seien.

EuGH, Urteil vom 08.12.2020 - C-584/19

Redaktion beck-aktuell, 8. Dezember 2020.

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