Richterin wurden Rechtssachen entzogen: Willkür oder Disziplinarstrafe müssen ausgeschlossen sein

Einem Richter seine Rechtssachen entziehen – das geht nur, wenn dabei objektive und genaue Kriterien eingehalten werden. Die Entscheidung ist außerdem zu begründen. Denn nur so sei auszuschließen, dass die Entziehung willkürlich erfolgt sei oder eine verdeckte Disziplinarstrafe darstelle, entschied der EuGH.

Das Kollegium des Regionalgerichts im polnischen Slupsk entzog einer Richterin etwa 70 anhängige Rechtssachen, in denen sie Berichterstatterin war. Der ohne ihre Zustimmung erlassene Beschluss war nicht begründet und wurde ihr nicht zugestellt. Der Richterin wurde auch der Zugang zu seinem Inhalt verweigert. Anschließend wurden die betreffenden Rechtssachen jeweils einem anderen Richter zugewiesen.

Die Richterin wittert eine verdeckte Strafe: Sie habe nämlich die Rechtmäßigkeit der Ernennung eines Richters in dem Regionalgericht infrage gestellt und ein erstinstanzliches Urteil aufgehoben, das dem Unionsrecht zuwiderlief. Indem man ihr die Zuständigkeit entziehe, wolle man Entsprechendes für die Zukunft unterbinden. In Bezug auf zwei der ihr entzogenen Rechtssachen hat sich die Richterin an den EuGH gewandt. Sie möchte wissen, ob sie dennoch berechtigt ist, die Prüfung dieser Rechtssachen fortzusetzen.

Der EuGH meint, dies könne mit Blick auf die richterliche Unabhängigkeit der Fall sein (Urteil vom 06.03.2025 – C-647/21 und C-648/21). Richter seien vor unzulässigen Eingriffen, die ihre Entscheidungen beeinflussen können, zu schützen. Das gelte auch für unzulässige Einflussnahmen innerhalb des eigenen Gerichts. Wenn, wie hier, ein Kollegium eines Gerichts einem Richter seine Rechtssachen entziehen kann, ohne dabei objektive und genaue Kriterien einhalten und ohne dies begründen zu müssen, gefährde das die Unabhängigkeit der Richter. Denn es sei dann nicht auszuschließen, dass die Entziehung willkürlich erfolgt sei oder eine verdeckte Disziplinarstrafe darstelle.

Stelle das nationale Gericht hier fest, dass die Entziehung dementsprechend unter Verstoß gegen das Unionsrecht erfolgt ist, müsse es die rechtswidrigen Folgen der Entziehung beheben, stellt der EuGH weiter klar. Der Beschluss des Kollegiums und die nachfolgenden Handlungen müssten unangewendet bleiben und die betreffende Richterin könne weiterhin in den ihr vor der Entziehung zugewiesenen Rechtssachen tätig sein.

EuGH, Urteil vom 06.03.2025 - C-647/21

Redaktion beck-aktuell, bw, 7. März 2025.

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