Drei zum Tatzeitpunkt 17-Jährigen wird in Polen vorgeworfen, unbefugt in die Gebäude einer nicht mehr genutzten Ferienanlage eingedrungen zu sein. Von der Polizei waren sie ohne Rechtsbeistand befragt worden. Auch wurden weder sie noch ihre Eltern vor der ersten Befragung über ihre Rechte und über den Ablauf des Verfahrens informiert. Die vom Gericht von Amts wegen bestellten Verteidiger beantragen deshalb, die Aussagen der Jugendlichen aus dieser Befragung aus den Akten zu entfernen und nicht als Beweise zuzulassen.
Das polnische Gericht hatte Zweifel daran, ob die Verfahrensgarantien für Minderjährige im vorgerichtlichen Ermittlungsverfahren ausreichend sind und befragte den EuGH. Der spielte den Ball letztlich an das nationale Gericht zurück, das zu prüfen habe, ob die polnischen Regeln den Anforderungen entspricht. Die Luxemburger Richterinnen und Richter gaben ihren Kolleginnen und Kollegen aber Leitlinien an die Hand. Sollte sich eine unionsrechtskonforme Auslegung als unmöglich erweisen, müssten sie jede entgegenstehende nationale Regelung oder Praxis aus eigener Entscheidungsbefugnis unangewendet lassen.
EuGH: Ohne Rechtsbeistand keine Befragung
Zunächst stellten sie klar, dass Kinder, sobald sie als Verdächtige oder Beschuldigte angesehen werden, die "konkrete und effektive Möglichkeit" haben müssen, sich von einem – gegebenenfalls von Amts wegen bestellten – Rechtsbeistand unterstützen zu lassen. Das gelte ab der ersten Befragung durch die Polizei oder jede andere Strafverfolgungs- oder Justizbehörde. Ohne Unterstützung dürften Behörden Minderjährige grundsätzlich nicht befragen (Urteil vom 05.09.2024 - C-603/22). Dieser Schutz ende auch nicht automatisch, wenn ein Minderjähriger während des Strafverfahrens das 18. Lebensjahr vollende.
Außerdem müssten Minderjährige so schnell wie möglich und spätestens vor ihrer ersten Befragung über ihre Verfahrensrechte belehrt werden, und zwar in einer einfachen und verständlichen Form, die ihren besonderen Bedürfnissen angepasst ist. Ein für Erwachsene bestimmtes standardisiertes Dokument entspreche nicht diesen Anforderungen.
Eine andere Frage sei es, ob belastende Beweise, die aus Aussagen eines Minderjährigen im Rahmen einer unter Verletzung seiner Rechte durchgeführten Befragung gewonnen wurden, für unzulässig erklärt werden müssen. Der EuGH entschied, dass das Unionsrecht die Mitgliedstaaten nicht verpflichte, dem nationalen Gericht die Möglichkeit zu geben, solche Beweise für unzulässig zu erklären. Das Gericht müsse aber prüfen können, ob die Rechte gewahrt wurden und es müsse aus einer Verletzung der Rechte auch Konsequenzen ziehen können, etwa in Bezug auf den Beweiswert der fraglichen Beweise.