Auftrag für E-Auto-Ladesäulen an Autobahnen: Grünes Licht aus Luxemburg
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Braucht es eine Ausschreibung, wenn der Bund ursprünglich eigene Unternehmen beauftragt und diesen Auftrag nach späterer Privatisierung ergänzt? Laut EuGH nicht zwingend. Öffentliche Auftraggeber können daher wohl durchatmen, meint Christiane Freytag.

Der EuGH hat am Dienstag die Beauftragung der Autobahn Tank & Rast GmbH und der Ostdeutsche Autobahntankstellen GmbH mit der Errichtung und dem Betrieb von Schnelladeinfrastruktur an Bundesautobahnen gebilligt (Urteil vom 29.04.2025 – C-452/23). Hintergrund ist ein Rechtsstreit zwischen der Fastned Deutschland GmbH & Co. KG mit dem Bund vor dem OLG Düsseldorf (VII-Verg 29/22) über einen Auftrag, den die Autobahn GmbH des Bundes der Autobahn Tank & Rast GmbH und der Ostdeutsche Autobahntankstellen GmbH erteilt hat.

Der Bund hatte den Auftrag, der anfangs noch keine E-Ladesäulen beinhaltet hatte, 2022 um die neue Infrastruktur erweitert. In dem Verfahren geht es daher um die Frage, ob der Auftrag für die Ladesäulen europaweit hätte ausgeschrieben werden müssen. Vergaberechtlich dreht es sich darum, welche Maßstäbe gelten, wenn Konzessionsverträge, die ursprünglich "inhouse" vergeben worden sind, nach Wegfall der Inhouse-Konstellation um weitere Leistungen ergänzt werden sollen. 

Auftrag aus den 1990er Jahren

Der Bund hatte in den Jahren 1996 bis 1998 einer damals noch bundeseigenen Gesellschaft ohne Ausschreibung im Wege der sogenannten Inhouse-Vergabe eine Vielzahl von Konzessionsverträgen über die Bewirtschaftung von Tankstellen und Raststätten an den Bundesautobahnen mit einer Laufzeit von bis zu 40 Jahren übertragen. Im Jahr 1998 wurde diese bundeseigene Gesellschaft materiell privatisiert und anschließend in Autobahn Tank & Rast GmbH und Ostdeutsche Autobahntankstellen GmbH umbenannt. Diese beiden Unternehmen betreiben etwa 90% der Tankstellen und Raststätten an deutschen Bundesautobahnen.

Gemäß § 5 Abs. 3 S. 1 SchnellLG vom 25. Juni 2021 ist die Autobahn GmbH des Bundes verpflichtet, dem Inhaber einer solchen Konzession die eigenwirtschaftliche Übernahme von Errichtung, Unterhaltung und Betrieb der an diesem Standort geplanten Schnellladepunkte anzubieten, soweit das Kartellvergaberecht dem nicht entgegensteht. Auf dieser Grundlage schloss die Autobahn GmbH des Bundes mit der Autobahn Tank & Rast GmbH und der Ostdeutsche Autobahntankstellen GmbH ohne Ausschreibung im April 2022 eine Ergänzungsvereinbarung zu den bestehenden ca. 360 Konzessionsverträgen und machte diese Vergabe im Amtsblatt der Europäischen Union bekannt. Den Verzicht auf Ausschreibung begründete sie damit, dass die Schnellladeinfrastruktur als ergänzende Dienstleistung im Rahmen der betreffenden Konzessionsverträge erforderlich geworden sei, was man bei deren Abschluss nicht habe vorhersehen können. 

OLG Düsseldorf befragt EuGH

§ 132 GWB regelt, dass wesentliche Änderungen eines öffentlichen Auftrags während der Vertragslaufzeit grundsätzlich ein neues Vergabeverfahren erfordern, wobei Änderungen u.a. dann wesentlich sind, wenn sie dazu führen, dass sich der Auftrag erheblich von dem ursprünglich vergebenen unterscheidet. Ohne neues Vergabeverfahren sind u.a. Änderungen zulässig, wenn diese "aufgrund von Umständen erforderlich geworden sind, die der öffentliche Auftraggeber im Rahmen seiner Sorgfaltspflicht nicht vorhersehen konnte, und sich aufgrund der Änderung der Gesamtcharakter des Auftrags nicht verändert"; außerdem darf der Preis um nicht mehr als 50% erhöht werden.

Fastned Deutschland leitete daraufhin ein Vergabenachprüfungsverfahren ein, um feststellen zu lassen, dass der Auftrag ohne Ausschreibung vergaberechtswidrig und damit unwirksam vergeben worden sei. Eine bloße Ergänzung der bestehenden Konzessionsverträge komme nicht in Betracht, weil diese ihrerseits ganz überwiegend ohne Ausschreibung vergeben worden seien.

Das OLG Düsseldorf hat den EuGH im Wege eines Vorabentscheidungsverfahrens um Auslegung der Bestimmung der EU-Vergaberichtlinie ersucht, die § 132 GWB zugrunde liegt. Es fragte, ob eine Ergänzung der Konzessionsverträge ohne Ausschreibung in Fällen wie dem vorliegenden mit EU-Recht vereinbar ist.

EuGH: Auch alte Inhouse-Aufträge müssen nicht unbedingt neu ausgeschrieben werden

Den Schlussanträgen des Generalanwalts Campos Sánchez-Bordona vom 17.10.2024 folgend hat der EuGH nun entschieden, dass eine Konzession unter bestimmten Voraussetzungen ohne Ausschreibung geändert werden kann, auch wenn sie ursprünglich bereits ohne Ausschreibung inhouse vergeben wurde. 

Bereits vor Erlass der EU-Konzessionsvergaberichtlinie sei in der Rechtsprechung des EuGH anerkannt gewesen, dass die unionsrechtlichen Vorschriften über Konzessionen bei Inhouse-Vergaben nicht zur Anwendung kämen, wenn der öffentliche Auftraggeber über den Konzessionsnehmer eine ähnliche Kontrolle ausübt wie über seine eigenen Dienststellen und wenn der Konzessionsnehmer zugleich seine Tätigkeit im Wesentlichen für den öffentlichen Auftraggeber verrichtet. 

Außerdem präzisierte der Gerichtshof die Anforderungen an den § 132 Abs. 2 Nr. 3 GWB entsprechenden Ausnahmetatbestand. Er stellte klar, dass die Änderung einer Konzession im Sinne dieser Vorschrift nicht bereits dann "erforderlich" sei, wenn die vertraglichen Bestimmungen die Situation, die sich aus den eingetretenen unvorhersehbaren Umständen ergebe, nicht erfassten. Vielmehr müssten unvorhersehbare Umstände eine Anpassung der ursprünglichen Konzession erfordern, um sicherzustellen, dass die daraus resultierenden Verpflichtungen weiterhin ordnungsgemäß erfüllt werden können. Außerdem dürften die Bau- oder Dienstleistungen, auf die sich die Erweiterung beziehe, angesichts ihres Umfangs oder ihrer Besonderheiten im Vergleich zu den Leistungen, die bereits Gegenstand der Konzession waren, keine Änderung ihres Gesamtcharakters mit sich bringen, meinten die Luxemburger Richterinnen und Richter. Das zu beurteilen, ist nun Aufgabe des OLG Düsseldorf.

Für den Fall, dass diese Voraussetzungen im Ausgangsfall nicht bejaht werden, verweist der EuGH außerdem noch auf den § 132 Abs. 2 Nr. 2 GWB entsprechenden Ausnahmetatbestand der EU-Richtlinie. Insoweit sei zu prüfen, ob die Bau- oder Dienstleistungen, auf die sich die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Änderung beziehe, nicht in wirtschaftlicher und technischer Hinsicht und ohne zu erheblichen Schwierigkeiten oder beträchtlichen Zusatzkosten für den öffentlichen Auftraggeber zu führen, Gegenstand einer autonomen, im Anschluss an eine Ausschreibung erteilten Konzession sein könnten. Dem stünden jedenfalls nicht die Bestimmungen des SchnellLG entgegen, weil dieses ausdrücklich auf die vorrangige Geltung des Kartellvergaberechts verweise. 

EuGH stärkt Bestandsschutz und rettet viele öffentliche Aufträge

Mit diesem Urteil hat der EuGH den Gedanken des vergaberechtlichen Bestandsschutzes gestärkt. Die Entscheidung ist von erheblicher Bedeutung für die künftige Vergabepraxis im Rahmen nachträglicher Änderungen nicht nur von Konzessionen, sondern von jeder Art öffentlicher Aufträge.

Der EuGH hat klargestellt, dass ursprünglich inhouse vergebene Aufträge ohne Ausschreibung geändert werden können. Anders ist das nur für Fälle des Auftragnehmerwechsels (§ 132 Abs. 2 Nr. 4 GWB), zu denen der EuGH bereits mit Urteil vom 12.05.2022 (Comune di Lerici, C-719/20) festgestellt hatte, dass die Voraussetzungen dieses Ausnahmegrunds nicht erfüllt werden können, wenn der ursprünglichen Auftragsvergabe kein Vergabeverfahren zugrunde lag.

Sofern die Frist, innerhalb derer ausschreibungsfrei geschlossene Verträge vor den zuständigen Vergabenachprüfungsinstanzen angefochten werden können, abgelaufen ist, braucht im Rahmen einer späteren Vertragsänderung auch nicht mehr geprüft zu werden, ob der ursprüngliche Vertrag vergaberechtskonform geschlossen wurde oder nicht, wie der EuGH nun klarstellte. Gemäß § 135 Abs. 2 GWB beträgt diese Frist maximal sechs Monate ab Vertragsschluss. Das dürfte auch für ausschreibungsfrei geschlossene frühere Auftragsänderungen gelten.

Angesichts der gerade im kommunalen Bereich seit den 2000er Jahren weit verbreiteten (Teil-)Privatisierung von Gesellschaften der öffentlichen Hand und der mit diesen zuvor geschlossenen langfristigen Altverträge dürfte diese Entscheidung große Praxisrelevanz haben. Allerdings ist zu empfehlen, dass öffentliche Auftraggeber vor jeder Änderung von Altverträgen anhand der aktuellen Rechtslage prüfen, ob die Tatbestandsvoraussetzungen für eine ausschreibungsfreie Vertragsänderung nach § 132 GWB tatsächlich vorliegen.

Dr. Christiane Freytag ist Counsel im Bereich Öffentliches Recht/Vergaberecht am Stuttgarter Standort der Kanzlei Gleiss Lutz.

EuGH, Urteil vom 29.04.2025 - C-452/23

Gastbeitrag von Dr. Christiane Freytag, 30. April 2025.

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