EuGH-Generalanwältin fordert längere Produkthaftung bei Impfschäden

Impfschäden nachzuweisen gilt als schwierig, oft gehen Betroffene erst Jahre später gegen die Hersteller vor. Die Generalanwältin am EuGH meint: Den Geschädigten wird es zu schwer gemacht.

Betroffene von Impfschäden sollten nach Meinung der EuGH-Generalanwältin Laila Medina mehr Zeit für Entschädigungsklagen haben. Dass Geschädigte je nach Rechtsweg nur zehn Jahre Zeit für eine entsprechende Klage hätten, verstoße gegen die Grundrechte der EU, schreibt sie in ihren Schlussanträgen. Die Rechtslage ignoriere die Situation von Menschen, deren Krankheit sich erst langsam entwickele.

In dem konkreten Fall geht es um eine Frau, die sich 2003 mit dem Impfstoff Revaxis des französischen Herstellers Sanofi Pasteur gegen Diphtherie, Tetanus und Polio impfen ließ. Nach eigenen Angaben litt sie in der Folge an Infektionen und Schmerzen und war wiederholt arbeitsunfähig. 2008 wurde eine entzündliche Muskelerkrankung diagnostiziert, die auf Rückstände des in bestimmten Impfungen enthaltenen Stoffs Aluminiumhydroxid schließen ließ. 2016 wurde in einem Gutachten festgestellt, dass sich ihr Zustand stabilisiert habe und dass nicht gefolgert werden könne, dass die Impfung für ihre Erkrankung kausal sei.

Die Betroffene verklagte Sanofi Pasteur unter Geltendmachung sowohl der Verschuldenshaftung als auch der Haftung für fehlerhafte Produkte. Die nationalen Gerichte wiesen ihre Ansprüche als verjährt ab, bis der Kassationsgerichtshof das Berufungsurteil 2023 aufhob und entschied, dass bei progressiven Schäden die Verjährungsfrist erst zu laufen beginne, wenn sich der Schaden stabilisiert habe. Die Sache ist nunmehr bei dem vorlegenden Berufungsgericht, der Cour d’appel de Rouen, anhängig.

Ausschlussfrist verstößt laut Generalanwältin gegen EU-Grundrechte

Nach Meinung der Generalanwältin darf die dreijährige Verjährungsfrist aus Art. 10 Abs. 1 Produkthaftungsrichtlinie erst dann starten, wenn sich die Krankheit stabilisiert hat und die Impfschäden in Gänze erfasst werden können – also wenn Kenntnis aller für eine Entschädigung erforderlichen Elemente besteht: Schaden, Fehler und ursächlicher Zusammenhang.

Sie kritisiert zudem die Ausschlussfrist des Art. 11 Produkthaftungsrichtlinie, nach der Unternehmen nur zehn Jahre lang haftbar gemacht werden können, nachdem sie das Produkt in Verkehr gebracht haben. Anschließend erlöschen alle Ansprüche. Weil die Frist Menschen mit sich langsam entwickelnden Krankheiten nicht berücksichtige, verstoße sie gegen das in der Charta der EU-Grundrechte verbriefte Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf. Im Übrigen sei die Produkthaftungsrichtlinie unionsweit einheitlich auszulegen und dürfe bei progressiven Schäden nicht zum Verlust des Anspruchs führen.

Die Schlussanträge der Generalanwältin sind für die Richterinnen und Richter nicht bindend, sie folgen ihnen aber häufig. Wann das Urteil verkündet wird, ist noch nicht bekannt.

EuGH, Schlussanträge vom 19.06.2025 - C-338/24

Redaktion beck-aktuell, cil, 20. Juni 2025 (ergänzt durch Material der dpa).

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