Apotheker A verkauft apothekenpflichtige Arzneimittel über den Amazon-Marketplace – für ihn eine lukrative Einnahmequelle, für seine Konkurrenz hingegen ein Dorn im Auge. Apotheker B sucht deshalb gerichtlichen Rechtsschutz, muss sich aber eines Umwegs bedienen. Mittlerweile ist die Klage über ein Vorabentscheidungsersuchen des BGH beim EuGH angekommen und gibt Gelegenheit, zwei sich zur DS-GVO stellende Fragen zu beleuchten:
Erstens: Was sind Gesundheitsdaten im Sinn der DS-GVO? Und zweitens: Dürfen die Mitgliedstaaten auf einen DS-GVO-Verstoß gestützte Rechtsbehelfe einführen, auch wenn diese nicht in der Verordnung angelegt sind?
Vor allem die zweite Frage ist spannend und geht in ihrer Bedeutung sogar über die DS-GVO hinaus. Sie betrifft einen letztlich allen Verordnungen innewohnenden Konflikt: Dürfen Verordnungen durch weitergehende mitgliedstaatliche Durchsetzungsmechanismen flankiert werden, müssen sie dies vielleicht sogar, oder laufen nicht vorgesehene nationale Rechtsbehelfe ihrem Harmonisierungsanliegen zuwider?
Am gestrigen Donnerstag hat Generalanwalt Szpunar Position bezogen (C-21/23). Er ist den Grundlagenfragen nicht ausgewichen, sondern hat seine Schlussanträge für vertiefte Erläuterungen genutzt.
DS-GVO kennt keine Konkurrentenklagen
Im Ausgangsverfahren wandte sich Apotheker B dagegen, dass sein Konkurrent A nicht verschreibungs-, aber apothekenpflichtige Arzneimittel über den Amazon-Marketplace verkaufte. Eine Versandhandelserlaubnis besaß A, sodass die Klage nicht auf ihr Fehlen gestützt werden konnte. Möglicherweise verbietet aber die DS-GVO den in Rede stehenden Verkauf.
Das große Problem für Apotheker B: Die DS-GVO sieht zwar behördliche Maßnahmen und individuelle Rechtsbehelfe desjenigen vor, um dessen Daten es sich handelt. Auch weist sie eine Öffnungsklausel für Verbandsklagen auf, mit der sich der EuGH bereits im Verfahren Meta Platforms Ireland befassen durfte. Was sie hingegen nicht kennt, ist eine Klagebefugnis für Konkurrentinnen und Konkurrenten.
Ein Schlupfloch fand der klagewillige Apotheker in Form von § 3a UWG. Die Norm ist ein Öffnungstor: Sie bewirkt, dass nicht nur die im UWG selbst aufgezählten Verhaltensweisen unlauter und damit verboten sind, sondern auch der Verstoß gegen eine außerhalb des UWG geregelte Marktverhaltensregel. Der klare Vorteil einer solchen Transformationsnorm: Das UWG muss nicht unnötig aufgebläht werden, denn in anderen Gesetzen erlassene Marktverhaltensregeln finden ohne Weiteres Einzug.
Umweg über das UWG?
Die Norm war deshalb für Apotheker B von Bedeutung, weil § 8 UWG Beseitigungs- und Unterlassungsansprüche für Konkurrentinnen und Konkurrenten und bestimmte Verbände vorsieht. Über den Hebel des § 3a UWG kann folglich ein Mitbewerber gegen den Verstoß einer jeglichen Marktverhaltensregel Klage erheben und so den unfairen Vorteil der Konkurrenz beseitigen.
Wichtige Ausnahme: Der Weg ist dann versperrt, wenn die relevante Marktverhaltensregel eigene Durchsetzungsmechanismen vorsieht und diese abschließend sein sollen – dann wird §§ 3a, 8 UWG durch die spezielleren Regeln verdrängt. Ein Wettbewerber darf also die auf einen DS-GVO-Verstoß gestützte Klage nur dann erheben, wenn die DS-GVO ihre Rechtsdurchsetzung nicht abschließend regelt.
Kauf von Paracetamol erlaubt keine Rückschlüsse auf die Gesundheit
Der Verkauf von nicht verschreibungs-, aber apothekenpflichtigen Arzneimitteln über Amazon-Marketplace ist dann verboten, wenn dabei Gesundheitsdaten im Sinn von Art. 9 Abs. 1 DS-GVO verarbeitet werden. Der Frage, ob durch die Kombination von Namen, Adresse und Bankdaten sowie dem bestellten Arzneimittel Gesundheitsdaten generiert werden, ging Generalanwalt Szpunar als erstes nach.
Wie der Generalanwalt zurecht ausführt, werden Gesundheitsdaten durch Art. 4 Nr. 15 DS-GVO definiert. Außerdem verweist er auf den Erwägungsgrund 35 zur DS-GVO und die dahinterstehenden Schutzzwecke. Aus ihrem Zusammenspiel schlussfolgert er, dass "das entscheidende Merkmal" sei, "dass aus den betreffenden Daten Rückschlüsse auf den Gesundheitszustand der betroffenen Person gezogen werden können". Da dieses Begriffsverständnis extrem weit und deutlich über reine Krankheiten hinaus ginge, tritt er anschließend wieder auf die Bremse: Einschränkend zu beachten sei das "Erfordernis eines Mindestmaßes an Gewissheit der Schlussfolgerungen, die über den Gesundheitszustand einer betroffenen Person gezogen werden können".
Obgleich mit Paracetamol als Allheilmittel und der prophylaktischen Reiseapotheke gute Beispiele folgen, warum der Kauf eines bestimmten Produkts keine hinreichenden Hinweise gibt, drängt sich beim Lesen doch der Eindruck auf, der Generalanwalt denke hier vor allem vom praktischen Ergebnis her. Denn wenn man das weite Begriffsverständnis uneingeschränkt stehen lässt, ergeben sich allerlei Beispiele, die über Arzneimittel hinausgehen, wie etwa das Bestellen einer Heizdecke oder von Fitnessgeräten. Insgesamt schlägt Generalanwalt Szpunar deshalb die praxisgerechte Auslegung vor, dass dann keine Gesundheitsdaten vorliegen, wenn sie lediglich "hypothetische oder ungenaue Rückschlüsse auf den Gesundheitszustand" einer Person zulassen.
Damit stellen die beim Kauf von nicht verschreibungspflichtigen Arzneimitteln generierten Daten nach Generalanwalt Szpunar keine Gesundheitsdaten dar. Erfreulicherweise beendet er seine Schlussanträge an dieser Stelle jedoch nicht, sondern befasst sich grundlegend mit nationalen Rechtsdurchsetzungsmechanismen, die in der DS-GVO nicht vorgesehen sind.
Generalanwalt: DS-GVO fordert keine Klagemöglichkeit für Mitbewerberinnen und Mitbewerber…
Die DS-GVO sieht Regelungen zum public enforcement (Art. 57 f. DS-GVO), individuelle Rechtsbehelfe der betroffenen Person (Art. 77 ff. DS-GVO) und eine Öffnungsklausel für Verbandsklagen (Art. 80 Abs. 2 DS-GVO) vor. Damit scheint sie ihre Rechtsdurchsetzung umfassend zu regeln. Indes führt die dem Vorabentscheidungsersuchen zugrundeliegende Klage des Apothekers gegen seinen Konkurrenten eindrücklich vor Augen, dass es auch andere Personengruppen geben kann, die legitimerweise gegen einen DS-GVO-Verstoß vorgehen wollen als diejenigen, um deren Daten es sich handelt. Dies führt zur Frage, wie die DS-GVO zu mitgliedstaatlichen Klagemöglichkeiten steht, die sie nicht dezidiert vorsieht.
Generalanwalt Szpunar unterteilt die rechtliche Würdigung in zwei Stränge:
Dabei prüft er zunächst, ob die DS-GVO eine solche Form der Rechtdurchsetzung sogar fordert. Damit greift er eine seit längerem geführte Diskussion auf, ob die Mitgliedstaaten dazu verpflichtet sind, flankierende Klagemöglichkeiten zu Unionsrechtsakten vorzusehen. So hatte der EuGH erst vor einem Jahr im Verfahren Mercedes-Benz Group für eine Überraschung gesorgt, als er einen durch die Rahmenrichtlinie und die VO 715/2007 geforderten mitgliedstaatlichen Schadensersatzanspruch für die Käuferinnen und Käufer von Autos mit Abschalteinrichtung proklamierte.
Generalanwalt Szpunar greift auf die grundlegenden EuGH-Urteile zum Private Enforcement zurück und arbeitet im Folgenden heraus, dass mit unionsrechtlichen Pflichten typischerweise Rechte der anderen Seite korrelierten. Im Rahmen der DS-GVO seien dies vor allem Rechte der Dateninhaberinnen und -inhaber, es sei aber zumindest denkbar, dass auch Wettbewerberinnen und Wettbewerber geschützt seien. Allerdings verstehe sich die DS-GVO gerade nicht als wettbewerbsschützendes Reglement, sondern diene dem Binnenmarkt nur reflexhaft. Daher ergebe sich aus der DS-GVO zwar der ohnehin vorgesehene Anspruch betroffener Dateninhaberinnern und -inhaber, nicht aber ein Anspruch der Konkurrenz. Bei einem DS-GVO-Verstoß fordert das Unionsrecht nach Ansicht des Generalanwalts also keinen eigenen Anspruch samt der damit einhergehenden Klageoption für mittelbar betroffene Wettbewerberinnen und Wettbewerber ein.
…heißt sie aber willkommen
Wenn die DS-GVO – nach Ansicht Szpunars – nationale Wettbewerberklagen nicht einfordert, bleibt immer noch die Möglichkeit, dass sie solchen zumindest nicht entgegensteht.
Erste zentrale Weichenstellung ist hier für den Generalanwalt, dass der EuGH eine – in seinen Worten – vergleichbare Klage eines Verbraucherverbands bereits im Rahmen des Verfahrens Meta Platforms Ireland zugelassen hatte. Auch in diesem Verfahren wurde die Klage – seinerzeit durch den Bundesverband der Verbraucherzentralen gegen den Facebook-Mutterkonzern Meta – auf das UWG gestützt. Zu bedenken ist allerdings, dass Art. 80 Abs. 2 DS-GVO gerade eine Öffnungsklausel für Verbandsklagen vorsieht. Zwar gab es keine Anhaltspunkte, dass die zeitlich vorgehende Normkonstruktion aus §§ 3a, 8 UWG diese Öffnungsklausel ausfüllen wollte. Nach Ansicht des EuGH änderte dies jedoch nichts an dem Ergebnis, dass sie erfüllt war. Generalanwalt Szpunar nutzt dieses Urteil nun als zentrales Indiz, dass das auf dieselbe Normkonstruktion gestützte Vorgehen eines Mitbewerbers der DS-GVO und ihrem Harmonisierungsbestreben nicht zuwiderlaufen könne, wenn die Klage eines Verbandes zulässig sei.
Das zweite wichtige Argument betrifft die von der DS-GVO angestrebte Harmonisierung selbst: Nach Szpunar bezieht sich diese vor allem auf die materiellen Verbote. Selbst wenn einzelne Mitgliedstaaten zusätzliche Durchsetzungsmechanismen vorsähen, würde sich jedoch nichts an den materiellrechtlichen Wertungen ändern. Mehr noch: Er ist "der Ansicht, dass diese Wirksamkeit durch den Umstand verstärkt wird, dass die Einhaltung […] auch im Rahmen von Gerichtsverfahren sichergestellt werden kann, die sich von denen unterscheiden, die in dem durch diese Verordnung eingeführten System von Rechtsbehelfen vorgesehen sind" (Rn. 105).
Nach Ansicht Szpunars besteht also kein Widerspruch zwischen dem Harmonisierungsbestreben und der effektiven Rechtsdurchsetzung der DS-GVO. Stattdessen gilt: Je mehr (sich nicht gegenseitig ausschließende) Rechtsbehelfe die DS-GVO durchsetzen, umso mehr ist der Harmonisierung gedient. Mitbewerberklagen nach §§ 3a, 8 UWG sind nicht unzulässig, sondern sogar sehr willkommen.
Die Autorin Tabea Bauermeister ist Inhaberin der Juniorprofessur für Bürgerliches Recht und Recht der algorithmenbasierten Wirtschaft an der Universität Regensburg. Ihr Forschungsschwerpunkt liegt im Bereich des deutschen, europäischen und internationalen Privat- und Wirtschaftsrechts. Dabei befasst sie sich insbesondere mit den Einflüssen des Unions- auf das nationale Recht sowie den Fragen der öffentlichen und privaten Rechtsdurchsetzung.