Denn: Es seien andere Gesichtspunkte als nur die familiären Bindungen zu berücksichtigen. Als Beispiel nennt der EuGH das Ausmaß des Schadens, der den (ausgeschlossenen) Familienangehörigen entstanden ist.
Zugrunde liegt ein Fall aus Italien. Ein Mann hatte seine frühere Partnerin getötet und war dazu verurteilt worden, an die Familienangehörigen des Opfers eine Entschädigung zu zahlen. Allerdings war er mittellos, weswegen der italienische Staat einsprang - allerdings nur teilweise. Der Betrag war niedriger und er wurde auch nur an die Kinder des Opfers und seinen Ehepartner, von dem das Opfer seit Jahren getrennt gelebt hatte, ausgezahlt. Die leer ausgegangenen Eltern und die Schwester klagten vor einem italienischen Gericht auf eine "gerechte und angemessene" Entschädigung. Auch die Kinder des Opfers klagten, da sie den ausgezahlten Betrag nicht als ausreichend empfanden.
Das italienische Gericht legte die Sache dem EuGH vor. Dieser möge klären, ob sich eine nationale Regelung, die die Zahlung von Entschädigungen an bestimmte Familienangehörige eines vorsätzlich getöteten Opfers von Amts wegen ausschließt, mit der Opferentschädigungsrichtlinie (RL 2004/80/EG) vereinbaren lässt.
Der Gerichtshof stellt zunächst klar, dass diese Richtlinie nicht nur direkte Opfer erfasst, die selbst vorsätzlich begangenen Gewalttaten ausgesetzt waren, sondern auch deren nahe Familienangehörige, wenn sie als indirekte Opfer mittelbar die Folgen der Taten erleiden. Die Mitgliedstaaten seien verpflichtet, eine Regelung zu schaffen, die eine gerechte und angemessene Entschädigung gewährleistet (Urteil vom 07.11.2024 – C-126/23).
Automatischer Ausschluss bestimmter Angehöriger EU-rechtswidrig
Der Beitrag müsse das Leid der Opfer in adäquatem Umfang ausgleichen, um zur Wiedergutmachung des erlittenen materiellen und immateriellen Schadens beizutragen. Sehe die nationale Regelung eine pauschale Entschädigung vor, müsse die Entschädigungstabelle hinreichend detailliert sein, um zu verhindern, dass sich die für eine bestimmte Art von Gewalt vorgesehene Entschädigung als offensichtlich unzureichend erweist.
Vor diesem Hintergrund beanstandet der EuGH die Regelung, die bestimmte Familienangehörige allein wegen des Vorhandenseins anderer Familienangehöriger automatisch von jeder Entschädigung ausschließt, ohne andere Gesichtspunkte zu berücksichtigen. Insbesondere seien die materiellen Folgen, die sich für die Familienangehörigen aus dem Tod ergeben, in den Blick zu nehmen. Auch der Umstand, dass die verstorbene Person für sie unterhaltspflichtig war oder sie mit ihr in häuslicher Gemeinschaft lebten, sei zu berücksichtigen.