Klägern wurde Flüchtlingseigenschaft aberkannt beziehungsweise verweigert
Die Kläger des Ausgangsverfahrens stammen aus dem Kongo, der Elfenbeinküste beziehungsweise Tschetschenien. Ihnen wurde in Belgien und in der Tschechischen Republik die Flüchtlingseigenschaft aberkannt beziehungsweise deren Zuerkennung verweigert, weil sie nach EU-Richtliniengesichtspunkten eine Gefahr für die Sicherheit beziehungsweise die Allgemeinheit des Aufnahmestaats darstellten. Die mit den Klagen befassten Gerichte hegten Zweifel an der Vereinbarkeit der herangezogenen Richtlinienbestimmungen mit dem Genfer Abkommen. Nach diesem Abkommen könne ein Ausländer oder ein Staatenloser aus den genannten Gründen zwar aus- oder zurückgewiesen werden, jedoch sei ein Verlust der Flüchtlingseigenschaft nicht vorgesehen.
Vorschriften mit Genfer Abkommen vereinbar?
Vor diesem Hintergrund sei fraglich, ob die Bestimmungen der Richtlinie, nach denen die Mitgliedstaaten die Rechtsstellung als Flüchtling aus den in Rede stehenden Gründen aberkennen und ihre Zuerkennung verweigern dürften, nicht einen Erlöschens- oder Ausschlussgrund enthielten, der im Genfer Abkommen nicht vorgesehen sei. Die Gerichte wollten daher vom Gerichtshof wissen, ob die fraglichen Bestimmungen der Richtlinie im Licht der Regeln der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta) und des AEUV, nach denen die Asylpolitik der EU das Genfer Abkommen zu achten habe, gültig seien.
EuGH: Richtlinie und Genfer Abkommen im Einklang
Der Gerichtshof hat entschieden, dass die fraglichen Bestimmungen gültig sind und hat dabei betont, dass die betreffende Richtlinie das Genfer Abkommen stützt und dessen uneingeschränkte Wahrung sicherstellen soll. Ein Drittstaatsangehöriger oder ein Staatenloser, der eine begründete Furcht vor Verfolgung in seinem Herkunftsland oder in seinem Wohnsitzstaat habe, sei unabhängig davon, ob ihm die Flüchtlingseigenschaft im Sinne der Richtlinie förmlich verliehen worden sei, als Flüchtling im Sinne der Richtlinie und des Genfer Abkommens einzustufen. Insoweit weist der Gerichtshof darauf hin, dass die Richtlinie die Flüchtlingseigenschaft als die Anerkennung als Flüchtling definiert und dass diese Anerkennung einen rein deklaratorischen und keinen für diese Eigenschaft konstitutiven Charakter hat. Dazu stellt der EuGH fest, dass die förmliche Anerkennung der Eigenschaft als Flüchtling zur Folge hat, dass der betreffende Flüchtling über alle in der Richtlinie für diese Art internationalen Schutzes vorgesehenen Rechte und Leistungen verfügt, und zwar sowohl Rechte, die den im Genfer Abkommen enthaltenen entsprechen, als auch in höherem Maße schützende Rechte, die sich unmittelbar aus der Richtlinie ergeben und in dem Abkommen keine Entsprechung haben.
Ausweisungen in bestimmten Fällen ausgeschlossen
Die in der Richtlinie vorgesehenen Gründe für die Aberkennung und für die Verweigerung der Flüchtlingseigenschaft entsprächen letztlich den Gründen, die das Genfer Abkommen für die Zurückweisung eines Flüchtlings anerkenne. Während der Flüchtling in dem Fall, dass die Voraussetzungen für eine Berufung auf die genannten Gründe erfüllt seien, den Schutz des Grundsatzes der Nichtzurückweisung in ein Land, in dem sein Leben oder seine Freiheit bedroht seien, nach dem Genfer Abkommen nicht mehr in Anspruch nehmen könne, sei die Richtlinie unter Achtung der in der Charta verankerten Rechte auszulegen und anzuwenden, die eine Zurückweisung in ein solches Land ausschließen. Nach der Charta seien nämlich Folter sowie unmenschliche oder erniedrigende Strafen und Behandlungen unabhängig vom Verhalten der betreffenden Person und die Ausweisung in einen Staat, in dem einer Person das ernsthafte Risiko einer solchen Behandlung droht, uneingeschränkt verboten.
Aberkennung der Rechtsstellung als Flüchtling lässt Eigenschaft als Flüchtling nicht entfallen
Soweit die Richtlinie zur Sicherstellung des Schutzes der Sicherheit und der Allgemeinheit des Aufnahmemitgliedstaats vorsehe, dass dieser Staat die Rechtsstellung als Flüchtling aberkennen oder die Zuerkennung dieser Rechtsstellung verweigern könne, während das Genfer Abkommen aus denselben Gründen die Zurückweisung eines Flüchtlings in einen Staat, in dem sein Leben oder seine Freiheit bedroht sind, zulasse, gewähre das Unionsrecht den betreffenden Flüchtlingen einen weiteren internationalen Schutz als denjenigen, der durch das Abkommen gewährleistet werde. Der Gerichtshof ist auch der Ansicht, dass die Aberkennung der Rechtsstellung als Flüchtling oder die Verweigerung der Zuerkennung dieser Rechtsstellung nicht dazu führen, dass eine Person, die eine begründete Furcht vor Verfolgung in ihrem Herkunftsland hat, die Eigenschaft als Flüchtling verliert.
EuGH bekräftigt Gültigkeit der Richtlinienbestimmungen
Obwohl eine solche Person nicht oder nicht mehr über alle in der Richtlinie den Inhabern der Rechtsstellung als Flüchtling vorbehaltenen Rechte und Leistungen verfüge, könne sie bestimmte im Genfer Abkommen vorgesehene Rechte geltend machen oder weiterhin geltend machen. Insofern stünden die streitigen Bestimmungen der Richtlinie mit dem Genfer Abkommen und den Regeln der Charta und des AEUV in Einklang und seien als gültig anzusehen.