Geldbuße gegen Roullier-Gruppe wegen Beteiligung an Futterphosphat-Kartell
Die Kommission erlegte 2010 sechs Gruppen von Herstellern, die sich an einem Preiskartell beteiligt und über mehr als 30 Jahre den Markt für Futterphosphate unter sich aufgeteilt hatten, Geldbußen in Höhe von insgesamt 175.647.000 Euro auf. Die betroffenen Unternehmen hatten im Rahmen dieses Kartells Absatzquoten nach Regionen und Kunden aufgeteilt und die Preise sowie in bestimmten Fällen die Verkaufsbedingungen abgestimmt. Gegen die Roullier-Gruppe – zu ihr gehört deren Tochtergesellschaft Timab Industries – wurde wegen ihrer Beteiligung an diesem Kartell in der Zeit von 1993 bis 2004 eine Geldbuße in Höhe von 59.850.000 Euro verhängt.
Roullier-Gruppe lehnte Vergleich mit Kommission ab
Anders als die übrigen in das Kartell verwickelten Gruppen lehnte die Roullier-Gruppe einen Vergleich mit der Kommission ab. Ein solcher Vergleich dient zur Vereinfachung des Verfahrens: Die betroffenen Unternehmen geben ihre Beteiligung an dem Kartell zu und geben Verpflichtungszusagen ab und erhalten im Gegenzug eine Geldbußen-Ermäßigung von 10%. Die Kommission wandte daher im Fall der Roullier-Gruppe das ordentliche Verfahren an. Dabei handelte es sich um das erste sogenannte Hybridverfahren. Dies bedeutet, dass das Vergleichsverfahren und das ordentliche Verfahren parallel durchgeführt wurden.
EuG: Kommission nicht an Bandbreite im Vergleichsverfahren gebunden
Die Roullier-Gruppe klagte beim Gericht der Europäischen Union auf Nichtigerklärung des Kommissionsbeschlusses und auf Herabsetzung der Geldbuße. Sie warf der Kommission insbesondere vor, gegen sie eine Geldbuße verhängt zu haben, die über dem Höchstbetrag der im Vergleichsverfahren veranschlagten Bandbreite liege. Das EuG wies die Klage ab (BeckRS 2016, 82036). Es führte im Wesentlichen aus, dass die Kommission die Roullier-Gruppe nicht dafür bestraft habe, dass sie sich aus dem Vergleichsverfahren zurückgezogen habe. Außerdem sei sie an die im Rahmen des Vergleichsverfahrens genannte Bandbreite nicht gebunden. Die Roullier-Gruppe legte dagegen ein Rechtsmittel ein und beantragte die Aufhebung des EuG-Urteils.
EuGH: Kommission musste im ordentlichen Verfahren neue Informationen berücksichtigen
Der EuGH hat das Rechtsmittel zurückgewiesen und die gegen die Roullier-Gruppe verhängte Geldbuße in Höhe von fast 60 Millionen Euro bestätigt. Das Gericht habe die sachliche Richtigkeit der von der Kommission im ordentlichen Verfahren vorgenommenen Beurteilung und die von ihr zur Berechnung der Geldbuße herangezogenen Gesichtspunkte ordnungsgemäß geprüft. Insbesondere habe die Kommission eine erneute Prüfung des Betrags der Geldbuße vornehmen und dabei dieselbe Methode anwenden dürfen, die zur Ermittlung der Bandbreite der Geldbußen angewandt worden sei, die der Roullier-Gruppe im Vergleichsverfahren mitgeteilt worden seien. Denn laut EuGH musste die Kommission im ordentlichen Verfahren neue Informationen berücksichtigen, durch die sie gezwungen gewesen sei, die Akten erneut zu prüfen, die berücksichtigte Dauer des Kartells neu festzulegen und die Geldbuße durch Nichtanwendung der von ihr im Vergleichsverfahren vorgeschlagenen Ermäßigungen anzupassen.
Roullier-Gruppe machte erst im ordentlichen Verfahren kürzere Kartellbeteiligung geltend
Wie der EuGH erläutert, hat die Roullier-Gruppe, die im Rahmen des Vergleichsverfahrens die von der Kommission zugrunde gelegte Dauer des Kartells (1978 bis 2004) nicht bestritten habe, im ordentlichen Verfahren (mit Erfolg) geltend gemacht, dass sich ihre Beteiligung am Kartell auf die Jahre 1993 bis 2004 beschränkte. Die Roullier-Gruppe hätte somit vorhersehen können, dass das Bestreiten ihrer Beteiligung am Kartell in der Zeit von 1978 bis 1993 Auswirkungen auf die Ermäßigungen haben würde, die ihr bei der Festsetzung der Geldbuße hätten gewährt werden können.
Wegen Änderung des Standpunkts kein Verstoß gegen Vertrauensgrundsatz
Das Paradoxon, das eine kürzere Dauer der Zuwiderhandlung zu einer höheren Geldbuße führe, erklärt der EuGH damit, dass die Kommission im Vergleichsverfahren dazu bereit gewesen sei, der Roullier-Gruppe zusätzliche Ermäßigungen für die Informationen zu gewähren, die von dieser in Bezug auf den Zeitraum von 1978 bis 1993 geliefert worden seien. Da die Roullier-Gruppe ihre Beteiligung am Kartell für diesen Zeitraum schließlich bestritten habe, sei die Kommission der Auffassung gewesen, dass der wesentliche Teil der vorgeschlagenen Ermäßigungen für den Zeitraum von 1993 bis 2004 nicht mehr anwendbar ist. Diese Änderung des Standpunkts der Roullier-Gruppe sei der Grund dafür, dass diese sich nicht auf den Grundsatz des berechtigten Vertrauens in die Aufrechterhaltung der von der Kommission im Vergleichsverfahren übermittelten Schätzungen berufen kann.
Pflicht zur Entscheidung innerhalb angemessener Frist nicht offensichtlich verletzt
Die Roullier-Gruppe machte außerdem geltend, dass das Gericht nicht innerhalb einer angemessenen Frist entschieden habe (das Verfahren vor dem Gericht dauerte ungefähr vier Jahre und neun Monate). Wie der EuGH darlegt, kann er eine solche Pflichtverletzung feststellen, wenn offensichtlich sei, dass das EuG seine Pflicht zur Entscheidung innerhalb angemessener Frist in hinreichend qualifizierter Weise verletzt hat, ohne dass insoweit die Beibringung zusätzlicher Nachweise durch die Parteien erforderlich wäre. Im vorliegenden Fall ist eine solche Pflichtverletzung nach Auffassung des EuGH mangels zusätzlicher von den Parteien vorgetragener Umstände nicht offensichtlich.