Beschwerde gegen nationalen Netzbetreiber wegen Stromausfalls

Ein Kunde kann gegen den Betreiber des nationalen Stromnetzes wegen eines Stromausfalls Beschwerde einlegen. Die Beschwerde kann nicht schon deshalb zurückgewiesen werden, weil die Anlage des Endkunden nicht unmittelbar an das nationale Stromnetz, sondern nur an ein vom nationalen Netz gespeistes regionales Netz angeschlossen ist. Dies stellt der Europäische Gerichtshof klar.

Papierfabrik mehrere Stunden ohne Strom

Eine allgemeine Störung in einem niederländischen Hochspannungsumschaltwerk, das zum von TenneT TSO betriebenen Hochspannungsnetz gehört, bewirkte, dass in einem Teil der Niederlande die Stromversorgung für mehrere Stunden unterbrochen war. Aufgrund dieser Störung war die Stromübertragung zur Papierfabrik von Crown Van Gelder für mehrere Stunden unterbrochen. Die Fabrik ist an das von der Liander NV betriebene Verteilungsnetz angeschlossen, das aus dem von TenneT TSO betriebenen Netz gespeist wird.

Fabrik legt bei Regulierungsbehörde Beschwerde ein

Crown Van Gelder machte geltend, durch diese Störung einen Schaden erlitten zu haben, und legte bei der nationalen Regulierungsbehörde der Niederlande ACM Beschwerde ein. Ziel war die Feststellung, dass TenneT TSO nicht alle ihr zur Verfügung stehenden zumutbaren Maßnahmen ergriffen habe, um den Stromausfall zu verhindern, und dass die Netzstruktur des Umschaltwerks nicht den gesetzlichen Anforderungen genüge.

Behörde hält Beschwerde für unzulässig

Die ACM erklärte die Beschwerde von Crown Van Gelder jedoch für unzulässig, da diese keine unmittelbare Vertragsbeziehung mit TenneT TSO habe. Die Fabrik von Crown Van Gelder sei nämlich nicht an das Netz von TenneT TSO angeschlossen, sondern nur an das Netz von Liander. Außerdem habe Crown Van Gelder keinen Vertrag mit TenneT TSO geschlossen und erhalte von dieser keine Rechnungen.

Vorlage zu Elektrizitätsbinnenmarkt-RL an EuGH

Das niederländische Berufungsgericht für Wirtschaftsverwaltungssachen das mit einer Klage gegen den Bescheid der ACM befasst ist, hat beschlossen, den EuGH dazu zu befragen. Es ersucht um Klärung des Begriffs "jeder Betroffene, der eine Beschwerde hat" im Sinne der Richtlinie über den Elektrizitätsbinnenmarkt (RL 2009/72/EG). Im Einzelnen möchte es wissen, ob die Beschwerde eines Endkunden gegen den Betreiber eines Stromnetzes wegen einer Störung dieses Netzes mit der Begründung zurückgewiesen werden kann, dass die Anlage des Endkunden nicht unmittelbar an dieses nationale Netz, sondern nur an ein vom nationalen Netz gespeistes regionales Netz angeschlossen sei.

EuGH: Unmittelbare Beziehung zu Netzbetreiber nicht erforderlich

Der EuGH weist zunächst darauf hin, dass die Befugnis der ACM, wenn sie mit einer Beschwerde befasst ist, ausdrücklich von zwei Voraussetzungen abhängt. Zum einen müsse sich die Beschwerde gegen einen Übertragungs- oder Verteilernetzbetreiber richten. Zum anderen müsse sich die in dieser Beschwerde erhobene Rüge auf Verpflichtungen des Netzbetreibers aus der Richtlinie 2009/72 beziehen. Dem Wortlaut der Richtlinie lasse sich hingegen nicht entnehmen, dass die Befugnis der ACM vom Bestehen einer unmittelbaren Beziehung zwischen dem Beschwerdeführer und dem Netzbetreiber abhängt.

Zuverlässige und leistungsfähige Übertragungsnetze zu betreiben

Die Richtlinie 2009/72/EG solle den Energieregulierungsbehörden die Befugnis verleihen, die volle Wirksamkeit der zum Schutz der Kunden ergriffenen Maßnahmen zu gewährleisten. Ebenso verpflichte sie die Mitgliedstaaten dazu, ein hohes Verbraucherschutzniveau zu gewährleisten, insbesondere in Bezug auf Streitbeilegungsverfahren. Die den Betreibern von Stromübertragungsnetzen durch die Richtlinie auferlegten Aufgaben und Verpflichtungen beträfen nicht nur Einrichtungen, deren Anlage an ihr Netz angeschlossen ist. So seien sie unter anderem dazu verpflichtet, unter wirtschaftlichen Bedingungen sichere, zuverlässige und leistungsfähige Übertragungsnetze zu betreiben, zu pflegen und zu entwickeln. Sie seien auch verpflichtet, zu gewährleisten, dass die zur Erfüllung der Dienstleistungsverpflichtungen erforderlichen Mittel vorhanden sind, durch entsprechende Übertragungskapazität und Zuverlässigkeit des Netzes zur Versorgungssicherheit beizutragen und die Übertragung von Strom durch das Netz unter Berücksichtigung des Austauschs mit anderen Verbundnetzen zu regeln.

Zulässigkeit der Beschwerde nicht von unmittelbarem Anschluss ans Übertragungsnetz abhängig

Der Gerichtshof kommt daher zu dem Schluss, dass der Begriff "Betroffener, der eine Beschwerde hat" nicht dahin ausgelegt werden kann, dass er eine unmittelbare Beziehung zwischen dem Beschwerdeführer und dem von der Beschwerde betroffenen Übertragungsnetzbetreiber voraussetzt. Folglich könne die ACM, wenn sie mit einer Beschwerde eines Endkunden befasst ist, mit der die Nichterfüllung der den Übertragungsnetzbetreibern durch die Richtlinie 2009/72/EG auferlegten Verpflichtungen geltend gemacht wird, diese Beschwerde nicht mit der Begründung zurückweisen, dass die Anlage des Endkunden nicht unmittelbar an dieses Übertragungsnetz, sondern nur an ein von ihm gespeistes Verteilernetz angeschlossen sei.

EuGH, Urteil vom 08.10.2020 - C-360/19

Redaktion beck-aktuell, 8. Oktober 2020.