EuGH: Spaniens Regelung zu Arbeitslosenleistungen für Teilzeitbeschäftigte mit vertikaler Arbeitszeitvereinbarung benachteiligt Frauen

Das System, das in Spanien zur Bestimmung der Grundlage für die Berechnung der Bezugsdauer von Leistungen bei Arbeitslosigkeit für Teilzeitbeschäftigte mit vertikaler Arbeitszeitvereinbarung angewandt wird, ist unionsrechtswidrig. Dadurch, dass eine viel größere Anzahl Frauen als Männer nachteilig betroffen ist, stelle die Regelung letztlich eine Ungleichbehandlung zum Nachteil von Frauen dar, die auch nicht durch den Grundsatz des “Beitrags zum Sozialversicherungssystem“ gerechtfertigt werden könne, so der Gerichtshof der Europäischen Union in seinem Urteil vom 09.11.2017 (Az.: C-98/15).

Teilzeitbeschäftigte rügt Ungleichbehandlung zum Nachteil von Frauen

Die spanische Klägerin des Ausgangsverfahrens gehört zu der Gruppe der Teilzeitbeschäftigten mit vertikaler Arbeitszeitvereinbarung. Nach mehr als zwölfeinhalb Jahre lang ununterbrochener Tätigkeit als Reinigungskraft verlor sie ihren Job und beantragte “Leistungen bei Arbeitslosigkeit“. Der Staatliche Beschäftigungsdienst (SPEE) erkannte ihr Leistungen bei Arbeitslosigkeit für 420 Bezugstage zu, anstelle der 720 Tage, auf die sie ihrer Ansicht nach Anspruch hatte. Bei der Entscheidung für diesen Zeitraum stützte sich der SPEE auf eine spanische Regelung, die vorsieht, dass, wenn sich bei Teilzeitarbeit die Bezugsdauer von Leistungen bei Arbeitslosigkeit nach der Anzahl der Beitragstage in den vorangegangenen sechs Jahren richtet, nur die Tage zu berücksichtigen sind, an denen tatsächlich gearbeitet worden ist (hier 1.387), und nicht die sechs Beitragsjahre insgesamt. Die Klägerin rügt als Teilzeitbeschäftigte mit vertikaler Arbeitszeitvereinbarung eine Ungleichbehandlung zum Nachteil von Frauen.

Spaniens Berechnung der Arbeitslosenleistungen für Teilzeitbeschäftigte europarechtskonform?

Das mit ihrer Klage befasste spanische Gericht sieht diese Gruppe von Arbeitnehmern doppelt bestraft, da zum einen das aufgrund der Teilzeitarbeit geringere Monatsgehalt zu einer proportional niedrigeren Leistung bei Arbeitslosigkeit führe und da zum anderen die Bezugsdauer verkürzt sei, weil nur die Tage mit tatsächlicher Arbeitsleistung in die Berechnung einbezogen würden, obwohl die Beitragsdauer länger sei. Es sei zudem erwiesen, dass die in Rede stehende Regelung einen weitaus größeren Anteil von Frauen als von Männern betrifft. Es stellte dem Gerichtshof daher die Frage, ob die Richtlinie über die Gleichbehandlung von Männern und Frauen im Bereich der sozialen Sicherheit der in Rede stehenden spanischen Regelung entgegensteht, wenn festgestellt wird, dass die Mehrheit der Beschäftigten mit vertikaler Arbeitszeitvereinbarung weiblich ist und von dieser Regelung nachteilig betroffen ist.

EuGH: Regelung stellt Ungleichbehandlung zum Nachteil von Frauen dar

Der Gerichtshof hat die Bedenken des Ausgangsgerichts bestätigt und festgestellt, dass die spanische Regelung zur Berechnung der Bezugsdauer von Leistungen bei Arbeitslosigkeit für Teilzeitbeschäftigte mit vertikaler Arbeitszeitvereinbarung unionsrechtswidrig ist. Die unter die Regelung fallenden Teilzeitbeschäftigten seien zwar grundsätzlich allesamt nachteilig von dieser Regelung betroffen. Jedoch seien angesichts der Tatsache, dass 70% bis 80% der Teilzeitbeschäftigten mit vertikaler Arbeitszeitvereinbarung weiblich sind, offensichtlich eine viel größere Anzahl Frauen als Männer nachteilig betroffen, sodass die Regelung eine Ungleichbehandlung zum Nachteil von Frauen darstelle.

Spanische Regierung beruft sich auf "Beitrag zum Sozialversicherungssystem"

Die spanische Regierung habe zwar geltend gemacht, dass der Grundsatz des "Beitrags zum Sozialversicherungssystem" das Vorliegen der festgestellten Ungleichbehandlung rechtfertige: Da das Recht auf eine Leistung bei Arbeitslosigkeit und die Bezugsdauer dieser Leistung ausschließlich von dem Zeitraum abhängig seien, während dessen ein Arbeitnehmer gearbeitet habe oder im Sozialversicherungssystem eingeschrieben gewesen sei, sei zwecks Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nur den Tagen Rechnung zu tragen, an denen der Betreffende tatsächlich gearbeitet habe.

Regelung stellt keine Äquivalenz zwischen Beiträgen und Bezügen her

Der Gerichtshof hat dazu festgestellt, dass die Prüfung, ob dieses Ziel tatsächlich das vom nationalen Gesetzgeber verfolgte ist, zwar letztlich dem spanischen Gericht obliegt, dass die in Rede stehende nationale Regelung aber nicht geeignet scheine, die Wechselbeziehung zu gewährleisten, die zwischen den vom Arbeitnehmer geleisteten Beiträgen und den Bezügen, auf die er im Rahmen einer Leistung bei Arbeitslosigkeit Anspruch hat, bestehen muss. Aus der spanischen Regelung ergebe sich nämlich, dass ein Teilzeitbeschäftigter mit vertikaler Arbeitszeitvereinbarung, der für jeden Tag eines jeden Monats des Jahres Beiträge gezahlt habe, eine Leistung bei Arbeitslosigkeit für einen kürzeren Zeitraum erhalte als ein Vollzeitbeschäftigter, der dieselben Beiträge entrichtet habe.

EuGH, Urteil vom 09.11.2017 - C-98/15

Redaktion beck-aktuell, 9. November 2017.

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