Zugriff auf Mobilfunkdaten zur Verfolgung eines Handyraubs versagt
Die spanische Kriminalpolizei beantragte beim zuständigen Ermittlungsrichter, ihr im Rahmen von Ermittlungen wegen des Raubs einer Brieftasche und eines Mobiltelefons Zugang zu den Identifikationsdaten der Nutzer der Telefonnummern zu gewähren, die in einem Zeitraum von zwölf Tagen ab dem Tatzeitpunkt mit dem entwendeten Mobiltelefon aktiviert wurden. Der Ermittlungsrichter lehnte diesen Antrag mit der Begründung ab, dass der den strafrechtlichen Ermittlungen zugrunde liegende Sachverhalt keine “schwere“ Straftat darstelle und der Zugang zu den Identifikationsdaten nur bei dieser Art von Straftaten möglich sei. Die spanische Staatsanwaltschaft legte hiergegen beim zuständigen Gericht Berufung ein.
Vorlagegericht: Wann dürfen Behörden zur Aufklärung von Straftaten auf Mobilfunkdaten zugreifen?
Dem Berufungsgericht zufolge habe der spanische Gesetzgeber nach dem Erlass der Entscheidung des Ermittlungsrichters zwei alternative Kriterien für die Bestimmung der Schwere einer Straftat eingeführt, bei der die Speicherung und die Übermittlung personenbezogener Daten zulässig seien.Beim ersten Kriterium handele es sich um ein materielles Kriterium, das an Verhaltensweisen von besonderer, erheblicher kriminogener Relevanz anknüpfe, die Individual- und Kollektivrechtsgüter besonders schädigten. Das zweite Kriterium sei ein normativ-formales Kriterium, das eine Mindeststrafe von drei Jahren Freiheitsentzug vorsehe und damit einen Strafrahmen, der die große Mehrheit der Straftaten erfasse. Zudem könne das staatliche Interesse an der Bekämpfung strafbaren Verhaltens keinen unverhältnismäßigen Eingriff in die in der Charta der Grundrechte der Europäischen Union verankerten Grundrechte rechtfertigen. Das Berufungsgericht fragte deshalb den EuGH, wie die Schwelle der Schwere der Straftaten zu bestimmen sei, ab der ein Grundrechtseingriff wie der Zugang der zuständigen nationalen Behörden zu von den Betreibern elektronischer Kommunikationsdienste gespeicherten personenbezogenen Daten gerechtfertigt sein könne.
EuGH: Eingriff in Grundrecht auf Achtung des Privatlebens und auf Datenschutz
Der EuGH weist zunächst darauf hin, dass der Zugang von Behörden zu von den Betreibern elektronischer Kommunikationsdienste gespeicherten Daten im Rahmen eines strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens in den Geltungsbereich der Datenschutzrichtlinie 2002/58/EG falle. Darüber hinaus stelle der Zugang zu den Daten, anhand derer die Inhaber der SIM-Karten, die mit einem gestohlenen Mobiltelefon aktiviert worden seien, identifiziert werden sollen, wie Name, Vorname und gegebenenfalls Adresse dieser Karteninhaber, einen Eingriff in deren Grundrechte auf Achtung des Privatlebens und auf Datenschutz, das in der EU-Grundrechtecharta verankert sei, dar. Dies gelte auch, wenn keine Umstände vorliegen, aufgrund deren dieser Eingriff als "schwer" eingestuft werden könne, und ohne dass es darauf ankomme, ob die betroffenen Informationen über das Privatleben als sensibel anzusehen sind oder die Betroffenen durch diesen Eingriff irgendwelche Nachteile erlitten haben.
Eingriff kann auch bei leichteren Straftaten gerechtfertigt sein
Laut EuGH ist dieser Eingriff aber nicht so schwer, dass dieser Zugang im Bereich der Verhütung, Ermittlung, Feststellung und Verfolgung von Straftaten auf die Bekämpfung schwerer Kriminalität beschränkt werden müsste. Die Richtlinie zähle Zwecke auf, die eine nationale Regelung, die den Zugang von Behörden zu diesen Daten betreffe und damit vom Grundsatz der Vertraulichkeit der elektronischen Kommunikation abweiche, rechtfertigen könnten. Der Wortlaut der Richtlinie sei nicht auf die Bekämpfung schwerer Straftaten beschränkt, sondern betreffe "Straftaten" im Allgemeinen.
Schwere des Eingriffs maßgeblich
Der EuGH führt aus, dass er in seinem Urteil "Tele2 Sverige" entschieden habe, dass allein die Bekämpfung der schweren Kriminalität einen Zugang der Behörden zu von den Betreibern von Kommunikationsdiensten gespeicherten personenbezogenen Daten rechtfertigen kann, aus deren Gesamtheit genaue Schlüsse auf das Privatleben der Personen gezogen werden können, deren Daten betroffen sind. Diese Auslegung sei jedoch damit begründet worden, dass der mit einer solchen Zugangsregelung verfolgte Zweck im Verhältnis zur Schwere des damit einhergehenden Eingriffs in die in Rede stehenden Grundrechte stehen muss. Denn nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit könne ein schwerer Eingriff in diesem Bereich nur durch den Zweck der Bekämpfung einer ebenfalls als "schwer" einzustufenden Kriminalität gerechtfertigt werden. Sei dagegen der Eingriff nicht schwer, könne dieser Zugang durch den Zweck der Verhütung, Ermittlung, Feststellung und Verfolgung von "Straftaten" im Allgemeinen gerechtfertigt werden.
EuGH sieht im Ausgangsfall keinen "schweren" Eingriff
Der EuGH ist der Ansicht, dass der im Ausgangsfall von der Polizei beantragte Zugang den Mobilfunk-Daten nicht als "schwerer" Eingriff in die Grundrechte der Personen eingestuft werden könne, da sich aus diesen Daten keine genauen Schlüsse auf das Privatleben der Betroffenen ziehen ließen. Der Eingriff könne daher zur Verfolgung von "Straftaten" im Allgemeinen gerechtfertigt sein, ohne dass es erforderlich wäre, dass diese Straftaten als "schwer" einzustufen sind.